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Social Detox und Sauerkraut

Vier Wochen habe ich nun Pause von den sozialen Medien genossen und mich ge-social-detoxt, wie man so schön sagen würden. Meinen Twitter-Account hatte ich deaktiviert, Facebook ebenfalls (das bleibt auch so) und lediglich meinen kleinen Instagram-Account bediente ich gelegentlich mit ein paar Bildern und schaute mir selbst Lauf-Videos und Koch-Reels an. Instagram ist für mich wie eine nette Klatschzeitschrift, aber zum Anklicken.

 

Dabei finde ich das Wort "social detox" reichlich albern, da man sich ja dennoch immer irgendwo im Internet herumtreibt und keiner ohne soziale Kontakte in den Wald der Einsamkeit zieht, nur mit einer kleine Axt und einem Kochtopf bekleidet.

 

Abgesehen davon detoxt man derzeit ja gerne eigentlich alles: Zucker, Alkohol, Medien, Schlacken! Um Himmels Willen, die Schlacken! Wo ist mein Kärcher?

 

Pflegte man einen normalen Umgang mit diesen Süchten, die sie ja nun mal alle sind, müssten wir uns nicht detoxen. Aber tatsächlich war ich auch zu viel in den sozialen Medien unterwegs und das kann mitunter sehr belastend sein. Denn es lenkt den Blick weg von den schönen Dingen im Leben und vor allem weg vom ganz normalen Leben „da draußen“. Außerhalb der eigenen Twitter/FB/Insta-Blase, in der man sich so heimelig und geborgen fühlt, weil alle um dich herum deiner Meinung sind und man sich unangenehme Zeitgenossen einfach wegblocken kann. 

 

Ich habe die Blockfunktion wenig verwendet, weil ich finde, dass ein Diskurs mit verschiedenen Meinungsvertretern stattfinden muss. Im wahren Leben kann man auch nicht jeden Andersdenkenden löschen. Wurde ich aber digital beschimpft, war es aber vorbei mit meiner Offenheit, denn das würde ich mir im analogen Alltag auch nicht antun. 

 

Fakt ist aber, dass die sozialen Medien eine zunehmende Radikalisierung begünstigen, was ja aktuell auch Thema in den Nachrichten ist, und diverse Gruppen, insbesondere bei Telegram, stehen unter Beobachtung. Die schnelle Informationsbeschaffung und die Algorithmen in den verschiedenen Anwendungen sorgen für eine dauerhafte Beschallung mit den Themen, die einem besonders am Herzen liegen und sie bestätigen immer wieder die eigene Meinung. Warum sollte man also über den Tellerrand hinausblicken?

 

Ich habe in den vier Wochen "Detox" alles wie immer getan: ich ging arbeiten, wir lernten für die Schule, ich kümmerte mich um meine Kinder, wie spielten, ich joggte, kochte, backte, lebte mein Privatleben und schrieb ab und zu Texte - nur ohne das permanente Klicklickklick nach neuen Informationen und Meinungen. Und ich war deutlich ruhiger. Es tut gut, das Internet abzuschalten.

 

Darüberhinaus ist die Zeit in der Landarztpraxis ohnehin spannend genug, und in der Weihnachtszeit auch wirklich schön, trotz Infektwelle, Überlastung und Impfungen. 

 

Sauerkraut 

 

Da kam zum Beispiel dieser hochbetagte Mann, der ein kleines medizinisches Problem hatte. Nichts Wildes, wir hatten es schnell besprochen. Während der Mann, durch jahrelange harte Arbeit steif im Kreuz und nach vorne gebeugt, sich wieder anzieht, beginnt er zu erzählen: „Bis vor zwei Jahren habe ich ja noch Sauerkraut selbst gemacht! Tonnenweise!“

Ich höre zu, während er langsam sein Hemd zuknöpft. Die persönlichen Geschichten zu hören, ist Teil meines Jobs, den ich sehr liebe. 

„Besonders Spaß hat mit die Arbeit mit den Kindergartenkindern gemacht“, fährt er fort. „Einmal im Jahr kamen die Vorschulkinder zu mir und dann haben sie das Sauerkraut mitgenommen und für einen Euro an die Eltern verkauft.“

Mir dämmert etwas. „Dann kennen Sie meinen Sohn“, sage ich. „Vor einigen Jahren im Kindergarten hat er auch Sauerkraut mitgebracht. Das war lecker!“

„Ja, das war ich!“ Er stahlt. „Ich bringe Ihnen nächste Woche was mit!“

 

Und er hielt sein Versprechen. Eine Woche später überreichte mir meine MFA einen gigantischen Topf mit Sauerkraut. 

 

Geschenke, Geschenke

 

Überhaupt gibt es Geschenke es in der Weihnachtszeit in Massen. Die Dankbarkeit der Patient*innen spiegelt sich wider in Bergen von Pralinen, liebevoll verpackten Süßigkeiten, Wein, Sekt und Plätzchen. Und manche Menschen machen sich auch ganz viel Mühe und schenken Dinge, von denen sie wissen, dass man sie besonders mag. 

 

Da bekam ich zum Beispiel Mon Cheri, weil ich mein kleines Faible für diese fies leckeren Süßigkeiten habe und die Patientin mein Buch gelesen hatte, in dem ich davon berichte. Eine andere Frau, die ich seit Jahren betreue und sehr mag, schenkte mir meinen Lieblingswein zu Nikolaus. Und ein hochbetagter Herr gab einen wunderschönen Blumenstrauß ab, weil man Damen Blumen überreicht, wie er erklärte.

Eine Dame schenkte mir Quittengelee und wunderschöne Bambusservietten.

 

Auch unsere langen Impftage waren bisher stets von Dankbarkeit begleitet. Dafür, dass wir das tun und trotz des Stresses immer versuchen, ein offenes Ohr für Bedenken und Sorgen zu haben. Und es tut gut, den Blick darauf zu lenken, denn die angespannten Nerven und die schlechte Laune vieler Patient*innen müssen wir auch oft genug aushalten. 

 

Back to social media

 

Seit gestern bin ich nun wieder im Social-Media-Geschehen und habe mich durch meine Twitter-Timeline gelesen. Ich gebe zu, es ist schön, wieder dort zu sein. Es ist, als würde man Altbekannte auf der Straße treffen und einen Schwatz halten.

 

Es ist wie immer: die Dosis macht das Gift. Twitter und Co. gibt es bei mir nur noch am Rechner. Mein Handy bleibt twitterfrei, das reduziert das Risiko, sich in den Medien zu verlieren. 

 

Das „Detoxen“ kann ich wirklich nur empfehlen. Das Leben ist zu schön, um es nur digital zu erleben.