· 

Die Sache mit den Klößen

 

Der Peter war ein Renommist, ihr wisst vielleicht nicht, was das ist.

Ein Renommist, das ist ein Mann, der viel verspricht, und wenig kann. 

Als man einmal von Essen sprach, da dachte Peter lange nach.

Dann sagte er mit stiller Größe: ich esse manchmal 30 Klöße!

 

 

Dieses Gedicht von Erich Kästner kommt mir in den Sinn, wenn ich an einen bestimmten Tag auf der internistischen Station denke. Ich hatte eine tolle PJ-lerin, aka PJane Katrin. Eine Medizinstudentin, die sich im letzten Jahr ihrer Ausbildung befand, im sog. Praktischen Jahr. Sie nahm mir morgens die Blutentnahmen und das Legen von venösen Zugängen ab, wofür ich heillos dankbar war. 

 

An einem Tag kam Katrin also zu mir und bat mich, dass ich bei einer Dialyse-Patientin mit grauenhaften Venen Blut abnehmen möge.

 

Dialysepatienten sind in der Regel hinsichtlich der Blutentnahme eine Herausforderung, denn sie besitzen an einem Arm den sog. Shunt. Das ist eine künstlich geschaffene Verbindung von Arterie und Vene, die zwecks Dialyse angestochen wird, um große Mengen Blut in den Körper ein- und ausschleusen zu können. Sie werden operativ angelegt und müssen nach OP einige Wochen "reifen", dann sind diese Shunts etwa daumendick. Und man mag sich denken, dass sie sich doch traumhaft zum Blutabnehmen eignen. Aber nein, bloß nicht! Der Arm ist tabu, der Shunt muss unversehrt bleiben und möglichst lange intakt sein.

 

Blöderweise sind bei nierenkranken Menschen die restlichen Blutgefäße oft ziemlich brüchig, so dass man mit kleinsten Nädelchen stechen und manchmal auch eine Weile popeln muss, bevor der Zugang erfolgreich liegt oder Blut im Röhrchen ist. 

 

Ich schritt dann also zur Tat und begab mich heldenhaft in das Zimmer, in dem ich eine sehr adipöse Patientin gerade beim Mittagessen vorfand. Ich erwähne das Übergewicht deswegen, weil das die Stechbedingungen noch erschwerte. Sie saß an der Bettkante vor dem ausklappbaren Tisch und genoss das vor ihr befindliche, köstliche Krankenhausessen. Es gab Königsberger Klopse mit Reis. (Zu Königsberger Klopsen gehören im Übrigen Kartoffeln, das weiß man doch.)

 

Man stört als Arzt wirklich nicht gerne beim Essen. Dennoch muss man sich oft an den Ablauf im Krankenhaus halten und wenn Laborwerte gebraucht werden, dann geht das nunmal vor. Die Dame war nicht sehr amused über meinen Besuch und beschloss, mich zu ignorieren. Weil sie auch nicht mit mir kommunizieren wollte, hielt sie mir ein wenig genervt den shuntfreien Arm hin, der blöderweise der weiter entfernte Arm war.

 

Also kniete ich mich zur Optimierung der Blutentnahme-Bedingungen vor der zu Tisch sitzenden Patientin hin und suchte den einen zur Verfügung stehenden, voluminösen Arm nach Venen ab. Ich suchte und fühlte und streichelte und klopfte, aber wurde nicht fündig. Meine Streicheleinheiten hielten die Patientin aber nicht im geringsten davon ab, ihren Hunger zu stillen.

 

Denn als ich gerade eine winzige, zarte Vene am Handgelenk fand und  stechen wollte, vernahm ich plötzlich eine Bewegung im Augenwinkel: Über mir schwebte ein Klops. 

 

Der Mund der Patientin öffnete sich in Zeitlupe, ihre Lippen schoben sich nach vorne in Richtung Löffel und in Slowmotion sah ich, wie die hungrige Dame den Klops auf sich zu balancierte. Über meinen Kopf hinweg. Stoßgebete zum Himmel schickend, dass dieser mir nicht auf den Kopf fiel, stach ich beherzt in das Venchen, traf, jubilierte innerlich und entnahm das Blut. Ich traute mich kaum zu atmen. Jede Erschütterung hätte das empfindliche Klops-Gleichgewicht gestört. 

 

Schließlich kamen wir aber beide zum erfolgreichen Abschluss: Blut im Röhrchen, Pflaster auf dem Arm, Klops im Mund.

 

Inzwischen würde ich die Situation natürlich anders handhaben und die Dame bitten, das Essen kurz zu pausieren.

Damals war ich noch jünger, traute mich nicht so recht, mich durchzusetzen. 

Und ich kann die Dame wirklich verstehen: Königsberger Klopse sind meist lecker. Sogar von der Krankenhausküche.

 

Aber ich bitte Euch: Mit Reis? Echt jetzt?

 

_______________

Ähnliche Artikel:

Helicoptermom

Heute ist's ruhig

 

_______________

Bild: Prawny,Pixabay