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Zu klein, um Arzt zu sein

Es ist im Leben einer Ärztin Gang und Gäbe, nicht ernst genommen zu werden. Das lernt man bereits im Studium  und das gehört zu den Narben im dicken Fell, das man sich zulegt.

 

Entweder man ist zu jung, zu hübsch, zu unscheinbar, zu leise, zu unweiblich, zu laut, zu dominant, zu irgendwas. Obwohl 2/3 aller Medizinstudenten weiblich sind, wird die obere Etage nur zu 5% von Frauen beherrscht. Das Sagen haben die älteren Herren. Sie bilden eine Einheit, eine Mauer. Auch auf die Gefahr hin, jetzt die Feministinnen-Schiene zu fahren: Wer als Frau in die oberen Etagen aufsteigen will, hat kaum eine Chance.

 

Ärztinnen müssen ihr Können viel mehr unter Beweis stellen, härter arbeiten und dürfen sich nicht beschweren.

 

Viele Ärztinnen haben aber Familie und können einfach nicht die Stunden ableisten, die ein Mann liefern kann, dessen Frau ihm den Rücken frei hält. Wir Frauen müssen uns meist selbst den Rücken frei halten.

Und was ist das Resultat?

Wir organisieren uns.

 

Wir sind immer pünktlich, weil wir einen fest strukturierten Tagesplan haben.

Wir arbeiten schnell und effizient, weil wir es gewohnt sind, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen und Pläne einzuhalten.

Außerdem sind wir gut darin, unvorhergesehene Situationen zu meistern, denn Kinder fragen Dich vorher schließlich nicht, ob sie das Wohnzimmer verwüsten oder sich den Zahn ausschlagen dürfen. Wir Mütter funktionieren.

 

Und so schafft manche Teilzeit-Mutti in sechs Stunden die gesamte Stationsarbeit, für die ein anderer acht Stunden mit Überstunden benötigen würde. Das wird aber nicht gesehen. Man ist und bleibt die Teilzeit-Mutti, die immer früher gehen muss, weniger Dienste macht und unflexibel ist. 

 

Arzt = Herr Doktor, Ärztin = Schwester

 

Ferner ist in vielen Köpfen immer noch verankert, dass ein Arzt männlich ist. So läuft man auch schon mal mit seinem Studenten über die Station und dieser wird vom Patienten als „Herr Doktor“ begrüßt und die Ärztin gefragt, ob sie bitte Wasser bringen könne.

 

Und das bedeutet keinesfalls, dass der Beruf der "Krankenschwester", also der Pflegefachkraft, egal ob männlich oder weiblich, nicht ehrenwert ist. Im Gegenteil. Ich habe viele viele Pflegekräfte erlebt, die so manchen Arzt fachlich weit übertrafen. Die viele Ärzte menschlich übertrafen. Die mit Empathie und Leidenschaft an ihre Arbeit gingen und körperliche Schwerstarbeit verrichten. 

Doch irgendwie ist es nach wie vor so, dass einer Frau das Fürsorgliche, das Pflegerische zugeschrieben wird. Der Herr Doktor ist der Kopf, der Denker, der Chef.

 

Daher kommt im Übrigen auch der Name "Schwesterfraudoktor". Denn wenn Patienten auf meinem Namensschild den "Dr. med." sahen, versuchten sie stets, den Fehler zu korrigieren und sprachen mich mit "Schwester? Äh, Frau Doktor." an.

 

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Ähnlich erging es mir an einem Tag, als ich Visite machte. Zu dem Zeitpunkt war ich bereits seit sechs Jahren Ärztin. 

 

Ich gehe an dem Tag also in das Patientenzimmer einer hochbetagten Dame mit unspezifischen Beschwerden. Sie leidet unter Schwäche, Müdigkeit, Schmerzen in den Gelenken. Akute Erkrankungen schlossen wir in den letzten Tagen aus, die Dame möchte jedoch nicht so recht akzeptieren, dass man mit 90 Jahren eben nicht mehr so fit ist. 

 

"Frau Müller (Anm.: Name erfunden), wie geht es Ihnen heute?"

Die hochbetagte Dame schaut ganz unzufrieden drein: "Gaaaanz schlecht!"

Ich: "Welche Beschwerden haben Sie denn heute?"

Die Dame antwortet entrüstet: “Also... Es war ja die ganze Woche noch kein Arzt bei mir!"

Ich: "Aber ich war doch jeden Tag bei Ihnen?"

Dame: "Ja, aber ich meine so einen ganzen Trupp?"

Ich: "Sie meinen die Visite?"

Sie nickt energisch mit dem Kopf. "JA!"

"ICH bin die Visite."

Die Dame ist verwirrt: "Das tut mir leid. Ich dachte…  Sie sind so schmal und klein."

Ich (etwas ratlos): "... Joa... War denn der Oberarzt heute schon da?"

Dame: "NEIN, ich sag’s ja!! Es war noch kein richtiger Arzt bei mir!“

 

Und weil es so schön war, passierte mir das Gleiche einige Zeit später:

 

Ich betreute seit zwei Wochen ein alte Dame, die immer wieder stürzt.

Nach umfangreichen Test, einschließlich Ultraschall, Computertomographie, Bronchoskopie (Spiegelung der unteren Atemwege), Langzeit-Blutdruck und -Ekg, Infusionstherapie, Labor, Medikamente anpassen u.v.m folgt das Abschlussgespräch vor Entlassung.

Ich erkläre ihr in aller internistischen Ausführlichkeit, dass alle Untersuchungen keine krankhaften Befunde gegeben haben. Lediglich der Blutdruck sei sehr erhöht, daher hätten wir die Medikamente umgestellt. Ich erläutere ihre Medikamenten-Einnahme, wann sie wieder zum Hausarzt gehen soll, wie es weitergeht.

Die Patientin hört sich mein ausführliches Blabla geduldig an. Dann lächelt sie unsicher und fragt: "Warum habe ich eigentlich die ganze Woche gar keinen Arzt gesehen?" 

 

Oder: 

 

Ich habe Dienst und begrüße eine ältere Patientin: „Guten Abend. Schwesterfraudoktor ist mein Name, ich bin ihre Ärztin heute in der Notaufnahme.

Die Patientin antwortet mit versteinerter Miene: „Ach, ist ja süß.“

 

 

Der Vorteil? Man lernt, durch Kompetenz und Wissen zu überzeugen. Schlau aussehen kann schließlich jeder.