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Ein ganz normaler Morgen

 

 

Aktuell arbeite ich nur zu 50% in einer Praxis für Allgemeinmedizin. Wenn es nach mir ginge, würde ich meinen Lebensunterhalt mit Schreiben und Gärtnern verbringen, aber bis ich mir meinen Selbstversorger-Bauernhof leisten kann, muss ich noch ein paar Jahre schuften, sparen und lernen: Wie mache ich selbst Käse, wie maximiere ich meinen Gemüse-Ertrag, wie hält man Hühner und Schafe unter freundlichen Bedingungen. Mit dem Gemüse habe ich im heimischen Garten schon angefangen, ich übe noch. Mal sehen, ob ich mir meinen Traum erfüllen kann.

 

BIs dahin sieht mein Tag, insbesondere mein Morgen, folgendermaßen aus:

 

5:45: Wecker klingelt. Ich hüpfe erholt und gut gelaunt aus dem Bett (haha). Ab ins Bad. Duschen, Haare waschen, Zähne putzen. Das Übliche eben, um als Landärztin tageslichtauglich zu sein. 

 

6:05 Uhr: Ab in die Küche, Kaffeemaschine an. Frühstück vorbereiten. 


6:10 Uhr:  Frühstücksvorbereitungen abbrechen, denn Kind 1 steht in der Tür. „Guten Morgen mein Schatz, gut geschlafen?“ „Kommst Du mit auf’s Klo?“ Klar. Immer gerne. Dem Kind 1 noch Socken anziehen. Dann zurück in die Küche.

 

6:13 Uhr: Erstes Mal am Kaffee nippen. 

 

6:14 Uhr: Kind 1 setzt sich an den Tisch, Haferflocken hinstellen, Saft eingießen. 

 

6:15 Uhr: Schulbrote zubereiten, Gemüse für das gesunde Frühstück schnibbeln, das im  Kindergarten lieber durch Süßigkeiten der Freunde ersetzt wird.

 

6:20 Uhr: Kind 2 das erste Mal liebevoll die Decke wegziehen und den Deckenfluter anmachen, dabei ein fröhliches „Guten Morgen“ zwitschern und nasse Küsse auf dem weichen, bettenwarmen Kindergesicht verteilen. 

 

6:21 Uhr: Von Kind 2 im Halbschlaf angewidert eine verpasst bekommen.

 

6:22 Uhr:  Endlich wieder am Kaffee nippen, 5 Minuten zu Kind 1 setzen, das Ipad reichen. Jaja, Asche auf mein Haupt, ich lasse meine Kinder morgens Ipad schauen. Pur+, Sendung mit der Maus und Pawpatrol. Um mal Werbung zu machen.

 

6:27 Uhr: Kind 2 mit mehr Nachdruck aus den Feder scheuchen, Socken anziehen. „Kommst Du mit auf’s Klo?“ Klar. Immer gerne.

 

6:28 Uhr: Kind 2 Haferflocken hinstellen, diesmal angewärmt. Die Geschmäcker sind verschieden. Saft habe ich ihm gemeinsam mit dem von Kind 1 schon eingegossen. Das nenne ich mal Zeitmanagement.

 

6:30 Uhr: 10 Minuten Nachrichten lesen. Kaffee trinken.

 

6:40 Uhr: Rückzug meinerseits ins Bad, Schminke auftragen, Haare fönen. 

 

6:42 Uhr: „Maaaaamaaaaa, kann ich noch eine Portiooooon?“ Klar, Kind 1. Immer gerne.

 

6:43 Uhr: Wieder ins Bad, zweites Auge schminken.

 

6:44 Uhr: „Maaaamaaa, kann ich bitte was trinken?“ Klar. Immer gerne. Sanft brülle ich zurück: „Gieß Dir was ein, die Flasche steht vor Dir!“

 

6:45 Uhr: „Waaaaas hast Du gesagt?“ Zum Kind gehen und Getränk servieren. Zurück ins Bad. Brüllen ist anstrengend. 

 

6:47 Uhr:  Beide Augen erfolgreich geschminkt. Fön aus der Schublade holen.

 

6:48 Uhr: „Maaamaaaa, kann ich noch eine Portion?“ Klar, Kind 2. Immer gerne. Wieder angewärmt. Die Geschmäcker sind verschieden.

 

6:50 Uhr: Erfolgreich angemalt und gefönt zurück in der Küche. Spülmaschine einräumen, Reste vom morgendlichen Chaos beseitigen. Kaffee No. 2 zubereiten. 

 

6:55 Uhr: Die Kinder ins Bad schubsen. Kind 2 ist eine Raupe und kriecht über den Boden. Praktisch, das erspart das Staubsaugen. Kind 1 (1. Klasse) fragt mich nach interstellaren Gesetzmäßigkeiten und auf welchem der Planeten es nochmal so viel Schwefel gab. Kind 2 quäkt: „Unser Balkon ist voller Schwefel!“

Fast. Es sind Pollen. Aber toll, dass Du weißt,  dass Schwefel gelb ist. Kind 2 loben und nasse Küsse verteilen. Die Raupe kriecht angeekelt weg. Immerhin in Richtung Badezimmer.

 

7:00 Uhr: Kind 1 hat die Raupe überholt und sitzt auf dem Klo. Die Raupe kriegt eine Wutattacke. „Immer ist Kind 1 schneller als ich!“, nörgelt Kind 2 und stellt sich schmollend hinter die Badezimmertür. Genug Zeit, um Zahnpasta auf den Zahnbürsten zu verteilen.

 

7:01 Uhr: „Außerdem stinkt es hier!“ quäkt es nörgelnd und näselnd hinter der Badezimmertür. Kind 2 ist inzwischen fertig und Kind 1 bezieht das Klo. Sich die Nase zuhaltend, als würde es bei ihm rosa Blümchen regnen. Kind 1 putzt sich vorbildlich die Zähne. 

 

7:03 Uhr: Kind 1 zum Anziehen ins Kinderzimmer gescheucht, die  Klamottenstapel liegen bereits zurecht. Dem Kind 2 putze ich die Zähne. Er wackelt und zappelt und die Zahnbürste landen im weichen Gaumen. Kind 2 würgt. Standardsituation.

 

7:05 Uhr: Mit Kind 2 ins Kinderzimmer zu Kind 1 gehen, wahlweise kriechen. Dieses sitzt mit einer Socke ausgezogen auf dem Boden und spielt Lego.

 

7:06 Uhr: Rückzug in die Küche für einen tiefen Atemzug und einen Schluck vom köstlichen, kalten Kaffee.

 

7:07 Uhr: Mit neuen Kräften zurück ins Kinderzimmer. Beide Kinder sitzen auf dem Boden und spielen, mehr oder weniger angezogen. „Zieht Euch an, sonst bringe ich Euch im Schlafanzug in den Kindergarten.“ Kind 1 schmollt und Kind 2 findet das furchtbar gemein.

 

7:15 Uhr: Endlich beide angezogen. „Können wir noch spielen?!“ Klar. Immer gerne. 5 Minuten. „Warum nur sooo kurz?“ Weil die Olle arbeiten und Geld verdienen, Kind 1 in die Schule und Kind 2 in das staatliche Aufbewahrungssystem gehen muss. Immer gerne.

 

7:16 Uhr: Brote in die Ranzen, Rücksäcke und Handtaschen packen.

 

7:17 Uhr: Den Rest des kalten Kaffees genießen. 

 

7:20 Uhr: Kinder zum Schuhe anziehen ermutigen. 

 

7:22 Uhr: Kind 1 hat beide Schuhe an. Kind 2 trägt einen Schuh und muss auf’s Klo. „Kommst Du mit?“ Klar. Immer gerne. 

 

7:24 Uhr: Dem Kind 2 sagen, dass es noch den zweiten Schuh anziehen muss. Kind 1 hat inzwischen seine Sammelkarten entdeckt und möchte etwas über Stinkwanzen wissen. „Die stinken“, lautet meine wissenschaftliche Antwort. Kind 2 liegt derweil bäuchlings auf dem Boden und heult. „Wieso darf Kind 1 noch spielen und ich nicht?“ 

 

7:25 Uhr: „Kind 1 hat schon seine Schuhe und Jacke an und deswegen darf er auch seine Karten angucken. Bist Du jetzt fertig?“ Kind 2 wirft seinen Schuh in die Ecke.

 

7: 26 Uhr: Kind liegen lassen, Tür öffnen, rausgehen. Kind 2 hat ganz schnell den Schuh an und folgt polternd und schimpfend ins Treppenhaus. Der interne Haus-Weck- Service. Klar. Immer gerne.

 

7:27 Uhr: Die Kinder im Auto vergurten. „Mamaaaa, ich brauch für Mathe heute zwei Folienstifte.“

 

7:28 Uhr: Fluchend und schimpfend zurück ins Treppenhaus. Interner Haus-Weck-Service-Reminder. 

 

7:29 Uhr: Kind 1 die Stifte aushändigen. Ins Auto setzen. Rückwärtsgang. „Mamaa, kann ich’n Erdbeer-Kaugummi?“ Klar. Immer gerne. „Aber die liegen bei mir auf dem Boden. Kannst Du mal mit dem rechten Arm nach hinten greifen? Noch mehr. (Arm bereits ausgekugelt.) Weiter links. Ne, neben meinem Schuh. Probier’s mal mit dem anderen Arm. Egal, dann nehme ich Zitrone.“

 

7:30 Uhr: Losfahren, Kinder abliefern. 

 

8:00 Uhr: Arbeiten gehen und bis 13 Uhr zwischen 25 und 50 Patienten behandeln.

 

Wer übrigens wissen will, welcher Planet viel Schwefel enthält: Es ist die Venus. Bitteschön. Immer gerne.

 

 

 

(Bild: ArtsyBee, Pixabay)  Nächster Artikel