Es war vor ungefähr drei Jahren. An einem ganz normalen, wahnwitzigen Abend in der Notaufnahme wurde ein junger Mann (Einschub: in der Inneren Medizin gilt alles unter 50 Jahren als jung) eingeliefert, der angab, unter ausgeprägtem Herzstolpern und Luftnot zu leiden.
Es folgte das übliche Procedere: Der Patient wurde zur Überwachung an den Monitor angeschlossen, um die Herzfunktion, die Sauerstoffsättigung und dem Blutdruck regelmäßig zu kontrollieren und bei Bedarf schnell einschreiten zu können. Es folgte die Blutentnahme und das Schreiben des Routine-EKG.
Schon vor dem ersten ärztlichen Gespräch stellte sich anhand des EKG’s heraus, dass der junge Mann (von etwa 45 Jahren) unter Vorhofflimmern litt, das zwar behandlungsbedürftig, aber nicht lebensbedrohlich ist.
Nun galt es also zu eruieren, warum dem so ist. Denn schließlich ist es bei einem eher jungen Patienten auch eher ungewöhnlich. Es muss also herausgefunden werden
- seit wann er unter den Symptomen litt.
- ob er solche Episoden schon des Öfteren erlebt habe.
- welche Vorerkrankungen bestehen.
- welche Medikamente er einnehme.
Der Patient machte einen sehr aufgeräumten und klaren Eindruck. Schlank, gut gekleidet, gepflegt. Er wirkte sehr gebildet und wir führten ein sehr informatives Gespräch.
Bis die Tür aufging (bzw. aufflog) und eine überschminkte, aufgebrachte Dame gehobenen Alters hereinstürmte.
Schon vor Eintritt der neuen Datenschutzverordnung im letzten Jahr war es natürlich ein Unding, in ein Patientenzimmer herein zu rauschen wie eine Horde Wasserbüffel. Insbesondere, wenn die Herde Wasserbüffel nicht mal anklopfen konnte.
Da die Dame sich dann aber quietschend auf meinen Patienten stürzte, sein Gesicht mit Küssen bedeckte und verzweifelte Töne von sich gab, ging ich einfach mal davon aus, dass die beiden zusammen gehörten. Als Paar. So wirkte es.
Ich wunderte mich ein wenig über die ungewöhnliche Konstellation und den Altersunterschied dieses Liebespaares, wirkte er doch so normal und aufgeräumt und sie so aufgebracht und überdreht. Innerlich schusterte ich ihm einen Ödipus-Komplex zu und ihr ein seltsames Faible für junge Männer.
Als sie aber schließlich zu reden begann, wären die Rhythmusstörungen des jungen Mannes beinahe akut auf mich übertragen worden.
Denn sie öffnete ihre Besorgnistirade mit den Worten: „Sie müssen meinem Jungen helfen!“
Ich versuchte, die Fassung zu bewahren und erklärte der besorgten Mutter, dass wir gerade in einem Untersuchungsgespräch wären und wir noch keine genaueren Ergebnisse hätten. Sie möge sich bitte gedulden und die Ergebnisse abwarten, sofern der Sohnemann sie mit ihr teilen möge.
Mama mochte sich nicht gedulden. Sie wünschte sich vorab die Verlegung ihres Sohnes in eine spezialisierte Herzklinik. Und ich versuchte ihr vorsichtig klarzumachen, dass ihr Sohn zwar sicherlich unter Beschwerden litt, aber kein Fall für eine abendliche Verlegung um 21 Uhr in eine Spezialklinik sei. Ich würde mich aber natürlich gerne und sofort und schnellstmöglich hochachtungsvoll am nächsten Tag darum kümmern.
Frau Mama reagierte ungehalten.
Wir würden doch schließlich sehen, wie schlecht es ihrem Jungen ginge, dann müsste man doch etwas tun. Er könne keinesfalls in diesem Krankenhaus bleiben. Und überhaupt, sie kenne den Professor der Herzklinik. Den werde sie gleich mal kontaktieren.
Ich konnte schließlich kein vernünftiges Wort mehr mit meinem Patienten wechseln, weil Helicoptermom mir regelmäßig ins Wort fiel und ihren Sohn nicht ausreden ließ. Er ließ die Situation stillschweigend über sich ergehen und Mama für sich antworten. Bis es mir zu bunt wurde. Ich gebot der bunten Dame einen Platz in unserem Wartebereich, was sie lautstark und protestierend zur Kenntnis nahm und fluchend den Raum verließ.
Endlich konnte ich mich ganz normal um meinen Patienten kümmern und die weiteren Therapieschritte einleiten. Schließlich wurde er zur weiteren Behandlung auf die Station verlegt.
Etwa zwei Stunden später (etwa um 23:00 Uhr) erhielt ich über die Pforte einen Anruf auf meinem Diensttelefon. Wer nicht gerade im Gesundheitssystem beschäftigt ist, dem möchte ich sagen, dass das Diensttelefon tatsächlich nur für den internen Gebrauch vorgesehen ist. Das Personal telefoniert damit untereinander, der diensthabende Arzt ist für Kollegen und Pflegepersonal erreichbar und wer von außen mit dem Diensthabenden telefonieren möchte, wird über die Pforte verbunden. Die Telefonnummer wird nicht nach extern herausgegeben.
Es klingelte also und die Pforte bat mich, mit einer sehr aufgebrachten und hysterischen Frau zu telefonieren, deren Kind wohl bei uns im Krankenhaus läge.
Verwundert ging ich ans Telefon, denn Kinder behandelten wir nur in absoluten Notfällen.
Und da war sie wieder: Supermom.
Sie beschwerte sich lautstark, dass ihr Sohn sich noch immer in unserem Haus befände. Sie habe doch schließlich den Wunsch geäußert, dass er in die renommierte Herzklinik überwiesen werden solle. Der Herr Professor, you remeber?
Tatsächlich hatte ich mit besagter Klinik telefoniert, weil der Zustand der Dame - nicht der des Patienten- höchst pathologisch war. Um Sohnemännchen machte ich mir weniger Sorgen. Und natürlich hatte die Herzklinik meine nächtliche Verlegung nicht begrüßt, der Aufnahme des Patienten am Folgetag aber zugestimmt.
Dies versuche ich ihr zu erklären. Sie wurde aber immer wütender und schrie am Telefon, es solle sich gefälligst mal jemand um ihr Kind kümmern.
Da ich finde, dass niemand im Gesundheitswesen Fußabtreter spielen muss, forderte ich ihr gegenüber einen vernünftigen Umgangston mit mir ein, da ich die Unterhaltung sonst beenden würde.
Sie entschuldigte sich dann auch. Mit den Worten: „Aber der Junge ist doch noch so klein.“
Der kleine Junge befand sich schließlich noch 24h in unserer Obhut, weil die renommierte Herzklinik keine Kapazitäten mehr hatte. Aber da war ich bereits im "dienstfrei"...
(Bild: ZPhotoo, Pixabay)