6:30 Uhr am Samstagmorgen, ich sitze im Auto und fahre 90 km weit zum Notarztkurs. Gestern war der erste Tag zum Kennenlernen und Besprechen von Organisation und Ablauf. Es verspricht spannend zu werden.
Ich habe mich entschieden zu pendeln, die Tage werden also lang werden.
Die Teilnehmer
Neben mir sitzen zwei Mädels, die sehr nett sind. Aber was sage ich... wir sind natürlich keine Mädels mehr, wir sind dem Mädels-Alter schon lange entwachsen. Aber ich fühle mich mit meinen 37 Jahren wie die Kurs-Omi, denn die meisten hochmotivierten Menschen hier sind gerade dem Studium entronnen.
Zwei Plätze weiter sitzt ein Frager. Nach JEDER Vorlesung fragt er dem Dozenten/der Dozentin Löcher in den Bauch:
„Ich wollte fragen... sollte man große Verletzungen präklinisch desinfizieren?“
„Wir haben kein Desinfektionsmittel auf dem Wagen. Die Wunde wird im OP gespült.“
„Aber das sollte man doch tun?“
„Joa, lohnt sich aber nicht. Haben das Mittel wie gesagt nicht da.“
„Warum?“
Der Rest des Kurses gähnt und geht auf die Toilette.
Zwei Reihen hinter mir sitzt ein alter chirurgischer Chefarzt. Er hat seine Mannschaft auf den Notarztkurs eingeladen, was ich großartig finde. Er selbst muss allerdings präsentieren, was er kann. Warum man denn nicht allen Notärzten eine Notthorakotomie beibrächte. Das Eröffnen des Thorax mit Anbringen von Klemmen auf Arterien sei ja nun wirklich kein Problem.
Der Dialyse-Spezialist fragt schlaue Dinge und setzt hinter jedes Wort ein „Ne?“, das klingt wie von einem Alt-68er-Hippie.
Der Kinderarzt weiß spannende Geschichten aus dem Klinikalltag zu erzählen und ich höre ihm gerne zu.
Es haben sich einige Grüppchen herausgearbeitet: Die älteren Ärztinnen (bin tatsächlich doch nicht die Kurs-Omi) um die 50 Jahre; die jungen Motivierten, die den Latex-Patienten im Stakato bearbeiten und den Notarztkoffer auseinander nehmen; die ruhigen Fremdsprachler, die allen freundlich die Tür aufhalten und beim Intubieren den Vortritt lassen; die Coolen, die es überall gibt.
Der Ablauf
Der Plan sieht vor, dass wir von Kardiologie über Traumatologie, HNO, Auge und Psyche einen Parforceritt durch die Medizin machen. Für mich als Allgemeinmedizinerin (i.W.) eine tolle Wiederholung. Die Praxisanteile fallen etwas spärlich aus. Lediglich an drei Nachmittagen üben wir an der Puppe. 30 Ärzte auf zwei Puppen, da ist Ellenbogen angesagt, was mir leider gar nicht liegt. Während einige die Reanimation üben, fachsimpeln die anderen.
Von den Organisatoren wird darauf hingewiesen, dass im Simuationskurs für 2400€ alle Szenarien geübt werden können und ich fühle mich ein wenig, als sei ich auf einer Werbeveranstaltung.
Gelegentlich kann man sich auch mal über nicht-ärztliche Dinge unterhalten, aber prinzipiell wird dieser Kurs von Arzt-Gesprächen dominiert und am Ende der Woche freue ich mich einfach nur auf normale Unterhaltungen.
Der Frager tritt wieder in Action: „Ich wollte fragen, ob man hier mit hyperbarer Sauerstofftherapie helfen könnte?“
Ich frage mich, ob der Frager eine Sauerstoffdruckkammer auf dem RTW installieren will. Der Dozent reagiert professionell und antwortet, dass die Kammern rar gesät sind und die Versorgung im Krankenhaus Vorrang hat.
Der letzte Tag besänftigt meine Enttäuschung über die rare Praxis etwas: Wir üben mit Schauspielern eine Sichtungsübung. Die Schauspieler sind geschminkt und schreien und liegen auf der Straße verteilt. Uns wird demonstriert, wie die Verletzten aus dem Auto geschnitten werden.
Profilneuröschen sind keine Blumen
Hier sind einige Ärzte mit steilen Profilneuröschen. Die ganz toll intubieren können. Die natürlich schon haufenweise Drainagen in Bülau-Position gelegt haben. „Hast Du auch schon in Monaldi gelegt?“ „Ja, natürlich!“
Natürlich.
Während ich versuche, den Beatmungsschlauch in die Latex-Trachea der Puppe zu popeln, kommen die Stimmen aus dem Off:
„Soll ich mal absaugen?“
„Achtung, du brichst die Zähne!“
„Darf ich ma?“
„Mehr ziehen!“
Morgens Theorie, nachmittags Praxis. Zuhause um 19:00. Essen, Schlafen, Kinder vermissen, Aufstehen, Fahren. Neun Tage am Stück.
Am Ende des Kurses habe ich es geschafft. Puppe gerettet, Ärztin im Eimer.
Es gibt sicher Ärzte, die besser intubieren können als ich und Thoraxdrainagen aus drei Metern Entfernung legen. Einhändig. Im Schlaf.
Den Kurs machte ich, um nicht stehenzubleiben. Um mich zu bilden, um eine besser Ärztin zu sein, um zu wiederholen und Bereitschaftsdienste machen zu können. Ich möchte auch fahren, wenn es die Zeit zulässt. Haha. Zeit.
Ich habe auch eine Profilneurose: ich bin Hausärztin. Ich bin Fachfrau für Banalitätenmedizin. Ich bin Spezialistin für leicht erkennbare Krankheiten.
Kann auch nicht jeder.