... wirf Gold und Silber über Dich.
,Niemals werde ich so eine MUTTI!'
Voller Abscheu geisterte dieser Gedanke früher in meinem Kopf umher. Mitten in Studium und Doktorarbeit, jung und motiviert, konnte ich mir nicht denken, dass die Prioritäten im Leben sich mal weg von der Karriere entwickeln.
‚Man wird es ja wohl schaffen, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen‘, dachte ich bei mir. ‚Wenn man sechs Jahre studiert hat, kann man schließlich nicht für Mann und Kind alles aufgeben.‘
Niemals im Leben würde ich in Teilzeit arbeiten. Niemals würde ich einen Beruf ausüben, bei dem man keine Karriere macht. Niemals würde ich meine Weiterbildungsjahre in Teilzeit sammeln. Lachhaft.
Viele Jahre später
Ich bin Ärztin. Ich bin promoviert. Ich bin Mutti. In Teilzeit. In einer Hausarzt-Praxis. Ich habe ganz schön was erreicht, würde ich sagen. Nämlich nichts von dem, was ich mir vorgenommen habe, bis auf die Approbation, die Promotion und die Tatsache, dass ich trotz Kindern immer gearbeitet habe. Meine Elternzeiten beliefen sich auf je sechs Monate, denn ich wollte nicht abgehängt werden.
Ich habe mich also VOLL an meine eigenen Vorgaben gehalten, NIEMALS in Teilzeit zu arbeiten und NIEMALS meine Karriere für die Familie aufzugeben. Haha.
Der Grund ist einfach: Ich habe es nicht geschafft. Ich habe es nicht geschafft, mehr zu arbeiten und mehr Karriere zu machen. Oft kam ich an meine Grenzen, wenn ich in meinem 75%-Klinik-Job wieder Überstunden und wieder Dienste machte.
Meine 75%-Stelle hieß: Um 7:30 Uhr die Kinder im Kindergarten abliefern, arbeiten, um 14:30 Uhr eigentlich Feierabend haben, oft Überstunden bis 15:30 Uhr machen, Kinder abholen. Dienste am Wochenende, weil es unter der Woche bei mir nicht ging. Also einen Sonntag einen 12h-Dienst haben und ein Wochenende im Monat einen 24h-Dienst. Immer wieder fielen Kollegen aus, also musste man sie ersetzen.
Als ich dann in die Praxis wechselte, war ich froh und dankbar, dass ich wieder mehr Zeit für die Kinder habe und an den Feiertagen frei.
Ich habe so viele Berufe gemacht, und hätte meine Karrieren haben können. Ich bin mir nicht sicher, was mit mir nicht ganz normal ist. Jeder Hobbypsychologe darf mir gerne seine Diagnose mailen.
Ich bin ein beruflicher Nomade, quasi eine Berufebitch. Regelmäßig nach 1,5-2 Jahren möchte ich den Job wechseln. Nicht, weil ich schon alles kann oder verstehe. Aber ich habe einfach das Gefühl, dass es Zeit für etwas Neues ist.
Der Alltag in der Praxis hilft, dem entgegen zu wirken.
Denn erstens: Langeweile kommt bei sovielen Patienten nicht auf.
Zweitens: Das Spektrum an Patienten ist unglaublich. Jung bis alt, alle Krankheiten, alle Kulturen, alle Charaktere.
Drittens: Das Spektrum der Krankheiten ist unglaublich. Innere bis Orthopädie, Pädiatrie bis Psychiatrie. Ein bisschen Auge, Haut und HNO.
Viertens: Ich habe wieder genug Zeit, meine überschüssigen Ideen im Journalismus-Studium, Sport, den Garten und in Aktivitäten mit meinen Kindern auszuleben.
Heute kann ich alle Mütter verstehen, die ihren Kindern Priorität in ihrem Leben einräumen. Aber auch alle diejenigen, die wie ich früher alles gaben, um beides zu vereinen. Und ich bewundre alle die Ärztinnen, die eine annähernd volle Stelle arbeiten und zuhause und im Dienst alles geben. Ich persönlich musste kürzer treten, als ich einen Defibrillator eingebaut bekam.
Warum ich zur Feministin werde
Es gibt viele Blogs von Ärztinnen, die Familien mit Kindern haben. Erstaunlich viele Blogs sogar. Das ist wahrscheinlich der Tatsache geschuldet, dass es verdammt schwer ist, Kind und Karriere zu vereinbaren und man auf seinen Weg auf unendlich viele Hürden trifft. Das Bloggen ist ein Schreiben von der Seele, etwas Therapeutisches. Es ist wie ein Tagebuch.
Als Blogger tut es gut zu erfahren, dass es Menschen gibt, die Deinen gesammelten Senf lesen. Die sich für Deine Stolpersteine und Deine Erfolge im Leben interessieren.
Wenn ich die Blogs der Kolleginnen lese, bin ich erschüttert, mit welchen Ungerechtigkeiten Ärztinnen zu kämpfen haben. Ich habe sie ja auch erlebt.
Es geht los bei den vielen Kommentaren, die vielleicht gar nicht böse gemeint sind, die aber seine Wirkung nicht verfehlen.
- „Och, nachmittags hätte ich auch gerne mal frei.“
- „Du musst ja sowieso pünktlich gehen.“
- „Frau als Chirurgin? Und wer operiert weiter, wenn Sie Feierabend haben?“
Weiter geht es bei der unterschiedlichen Behandlung von Ärztinnen.
Chirurginnen, die ihren OP-Katalog nicht voll kriegen, weil man sie erst gar nicht im OP einsetzt.
Frauen als Anwärterinnen auf eine Oberarzt-Stelle, welche ihr in den letzten Zügen verwehrt bleibt, weil der wöchentliche Endoskopie-Tag (bewusst?) auf ihren freien Tag gelegt wird und sie nun ja leider leider nicht in die menschlichen Löcher gucken kann. Tja, und ein Oberarzt muss ja schließlich endoskopieren. Und überhaupt: Oberarzt in Teilzeit? Wie soll das gehen?
Dieser Beruf macht mich zur Feministin. Frauen mit Kindern können gut organisieren, sind pünktlich, zuverlässig und belastbar. Das ist allerdings in den Köpfen der oberen Herren noch nicht angekommen.
Ich will nicht die #metoo-Schiene fahren, weil ich persönlich finde, dass der Begriff zu sehr ausgeweitet wird. Nicht jeder Spruch ist als Belästigung gemeint, nicht jedes Kompliment sexistisch.
Wenn aber berufliche Unterschiede gemacht werden, bloß weil ein Uterus vorhanden ist, dann ärgre ich mich maßlos.
Glücklicherweise kann ich trotz Karriereschwund sagen, dass es für mich der richtige Weg war. Meine Kinder haben mein Leben bereichert und ich arbeite auch jetzt noch genug. Meine Karriere ist jetzt eine andere. Auf Gold und Silber warte ich allerding noch, obwohl ich mich genug gerüttelt und geschüttelt habe.