Wir sind Helden. Kleine Helden. Nicht die großen, strahlenden Krankenhaus-Helden. Nein. Kleine Landarzt-Helden.
Wir stehen nicht auf dem Dach eines Krankenhauses und warten mit fliegenden Haaren und spannungsgeladener Musik im Hintergrund auf den herannahenden Helikopter, der uns den polyraumatisierten Patienten bringt.
Wir stehen auch nicht in einem Herzkatheterlabor. Allzeit bereit, den akuten Gefäßverschluss am Herzen mit kunstvoll hineingepopelten Metallröhrchen zu beseitigen und den Motor des Lebens zu erhalten.
Erst recht rennen wir nicht mit wehenden, weißen Kitteln über die Krankenhausflure und reanimieren einen Patienten, indem wir kunsvoll drei Mal pro Minute auf die Brust drücken, etwas Luft in den Mund pusten und theatralisch "Bleib bei mir!" rufen.
Und wir stehen auch nicht steril im Operationssaal und versuchen, einen zerbröselten Knochen zusammenzuflicken, während wir wie ein Rohrspatz fluchen und uns trotzdem jemand liebevoll den Schweiß von der Stirn tupft.
Nein, wir sind keine großen Helden
Wir sind diejenigen, die von Klinikärzten oft belächelt werden, weil wir am Freitagnachmittag komplizierte oder undurchsichtige Fälle ins Krankenhaus einweisen. "Typisch Hausarzt, dass der die Autoimmunhepatitis nicht erkannt hat." "Das bisschen Luftnot. Hätte er halt mal Lasix gegeben." Es folgt kollegiales Augenrollen.
Ich übertreibe ein wenig. Doch das Arbeiten als Hausarzt ist einfach anders.
Wir sind diejenigen, die Husten, Schnupfen und Heiserkeit behandeln.
Oder Magen-Darm. Wir sind die Gelbe –Zettel –Aussteller.
Aber wir sind noch viel mehr.
[Achtung, es folgt eine Lobrede auf die Hausärzte.]
[Epische Musik ertönt.]
Wir sind der erste Ansprechpartner.
Wir sind das Ohr der Bevölkerung.
Wir sind der Wellenbrecher, der dafür sorgt, dass die Krankenhäuser nicht noch mehr überlastet werden.
Der Schwund der Landärzte ist ein enormes Problem, denn wir Hausärzte sorgen dafür, dass der Großteil der Bevölkerung eine medizinische Versorgung erhält. Von 750 Menschen, die Beschwerden haben, suchen 250 Patienten einen Arzt auf. Mit einem Verhältnis von 20:1 (Hausärzte: Fachärzte) gehen sie dabei zu einem Allgemeinmediziner. Acht Patienten davon werden ins Krankenhaus eingewiesen.
Wo sollten diese ganzen Menschen hingehen, wenn nicht zum Hausarzt?
Wir behandeln nicht bloß Lappalien
Ich erinnere mich an einen Patienten, der schon mehrere Stents am Herzen hat - Metallröhrchen, welche die Herzkranzgefäße offen halten. Eines Tages kam er und klagte über einen leichten Druckschmerz auf der Brust. Es sei eigentlich nicht so schlimm. Er würde uns ja nur unnötig belästigen. Aber er war sich eben doch ein bisschen unsicher. Und die Frau hat sowieso gemeckert, dass er zum Arzt gehen solle. Und eija, jetzt hat er halt frei heute. Da wollte er doch mal gucken lassen.
Ich machte einen Schnelltest auf Troponin: ein Enzym, das den Untergang von Herzmuskelzellen anzeigt. Dieser Test war negativ, also in Ordnung. Kein Nachweis von Troponin. Lediglich im EKG fiel mir eine minimale Besonderheit auf. Es war kein greifbarer Befund, aber mehr nach Gefühl handelnd wies ich ihn ins Krankenhaus ein. Noch am selben Tag wurde er wegen eines drohenden Herzinfarktes behandelt, denn der Hauptstamm der herzversorgenden Gefäße war zu 90 Prozent verschlossen.
Eine andere Patientin begrüßte mich einmal strahlend mit den Worten: „Meine Lebensretterinnen!“
Um ehrlich zu sein wusste ich nicht mehr, was ich getan haben sollte. Sie klärte mich auf: sie war mit diffusen Bauchschmerzen zu mir gekommen. Im Ultraschall sah ich eine Art „Knäuel“ im rechten Unterbauch. Ich wies sie mit der Verdachtsdiagnose einer Blinddarmentzündung ein. Es stellte sich dann heraus, dass der Blinddarm bereits perforiert und an dieser Stelle entzündlich verbackene Darmschlingen zu sehen waren. Für einen geplatzten Blinddarm hatte sie erstaunlich wenig Schmerzen.
Natürlich gehört das alles zu unserem Job und niemand muss uns auf die Schulter klopfen, wenn wir eine richtige Diagnose stellen. Doch manchmal ist es auch gar nicht so einfach, denn kein Mensch ist wie der andere. Und wenn man mal 40 Patienten am Vormittag behandelt oder 24h am Stück gearbeitet hat - wie die Kliniker (erinnere ich mit Grauen daran) - dann merkt man, dass Ärzte IMMER funktionieren müssen. Tag und Nacht. Egal, wieviele Menschen sie vorher schon gesehen und wieviele Stunden sie schon gearbeitet haben.
Kleine Helden
Manchmal retten wir Hausärzte kein Leben, aber manchmal machen wir ein Leben ein kleines bisschen besser. Wenn wir einem Patienten zu einer Reha verhelfen. Wenn ein Ausschlag weg geht. Wenn der Patient endlich einmal reden kann.
Oder, wenn nach einer Ärzte-Odysse endlich die richtige Diagnose gestellt wird:
Einmal kam ein junger Mann zu mir, der seit einem Jahr eine stark juckende Kopfhaut beklagt. Der Dermatologe verschrieb ihm teure Anti-Schuppen –Shampoos. Ein Allgemeinmediziner ein Shampoo gegen eine Hautpilzerkrankung. Es zeigte alles keine Wirkung. Mit dem Mut der Verzweiflung (Mein Gedanke: "Was soll ich denn finden, was ein Dermatologe nicht sieht?") wühlte ich mich todesmutig durch seine jugendlich dichte Kopfbehaarung. Und entdeckte Nissen. Läuse.
Es kann so einfach sein, eine kleine Heldin zu sein.
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(Nachsatz: Mit "Helden", sind auch "Heldinnen" gemeint. Mit "Patient" in den meisten Fällen auch "die Patientin", es sei denn, ich schildere einen konkreten Fall. Der "Hausarzt" ist auch "die Hausärztin" und der "Kollege" schließt "die Kollegin" mit ein. Mich stört das * im Lesefluss, daher bitte ich, das fehlende Sternchen zu entschuldigen. Ich meine immer alle Geschlechter.)
Bild: Pixabay/perianjs