Als ich letzte Woche den Artikel über die Erziehungstipps von externen Beobachtern geschrieben habe, wurde mir ein Bereich besonders präsent, in dem Menschen besonders vielen Übergriffigkeiten ausgesetzt sind: die Schwangerschaft.
Es scheint, dass man mit Beginn der Schwangerschaft die Verantwortlichkeit über seinen Körper in die Hände der Gemeinschaft legt. Jeder möchte ein bisschen teilhaben, jeder möchte ein bisschen etwas dazu sagen können und jeder tatscht den Babybauch an.
Ich habe mal alle Unsinnig- und Übergriffigkeiten zusammen gefasst, die sich Frauen in der Schwangerschaft anhören müssen.
Los geht’s. Wie gehen dabei chronologisch mit der Schwangerschaft vor.
Eine Chronologie der “guten Ratschläge”
Wir wollen ein Baby
Als Hausärztin berate ich auch Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch. Der Druck auf diese Patientinnen ist immens. Sie haben das Gefühl, zu versagen oder nicht richtig zu funktionieren, weil sie es „nicht schaffen“, schwanger zu werden. Dass kein persönliches Versagen dahinter steckt, wissen die Frauen natürlich. Und dennoch fühlen sie sich beäugt, weil die guten Ratschläge nicht ausbleiben.
„Du hast zu viel Stress.“ „Es gibt da so einen Tee. Oder probier doch mal Mönchspfeffer.“ „Man muss das ja auch irgendwie wollen. Vielleicht wehrt sich dein Körper innerlich.“
Die Folge ist häufig, dass Patientinnen, schon bevor es überhaupt zu einer Schwangerschaft kommt, ihren Lebensrhythmus dem Kind und der Gesellschaft anpassen.
Endlich schwanger
Nun bist Du also schwanger, hurra. Du bist nun im Besitz der Gesellschaft. Schließich produzierst Du ein Kind und als Brutmaschine trägst Du Verantwortung.
„Du wirst doch jetzt nicht mehr so viel Sport machen.“ „Und iss ja keine Salami.“
„Du darfst nicht schwer heben.“ „Ach, Schwangerschaft ist keine Krankheit. Stell dich nicht so an. Das bisschen Übelkeit.“
Aufklärung aus medizinischer Sicht: Solange man sich gut fühlt und keine ärztlich assistierte Risiko-Schwangerschaft austrägt, kann man Sport machen und es hat sich auch gezeigt, dass Sport in der Schwangerschaft sowohl für Mutter als auch für Baby gut sind. Sportarten mit stärkeren Erschütterungen werden mit wachsendem Babybauch sowieso unangenehm und man verzichtet freiwillig. Salami darf gegessen werden, wenn sie geräuchert wurde. Das Institut für Risikobewertung in Berlin hat darüber sogar eine Empfehlung geschrieben. Rohwurst sollte aufgrund der Gefahr einer Infektion mit Toxoplasmose nicht gegessen werden. Um eine Infektion mit Listeten zu vermeiden, bitte keine Lebensmittel aus offenen Behältern (Schafskäse vom Markt etc.) und keinen Rohmilchkäse essen und alle Salate/Rohkost waschen.
Endlich ein Bauch zum Antatschen
Die Schwangerschaftsübelkeit ist überstanden, die ersten ängstlichen zwölf Wochen ebenfalls. Der Bauch wird runder und alle möchten ihn anfassen. Ungefragt.
Für Verwandte scheint es ganz normal, dass man den Bauch endlich anfassen darf. Es ist ja schließlich ein Baby drin. Faktisch gehört dieser Bauch nicht mehr zu deinem Körper, sondern zum Baby.
Aber es geht noch besser:
Man steht im Aldi an der Kasse. Zack! Hand auf der Plauze. Die Oma vor dir dreht sich um und legt die Hand auf dem Bauch.
Kaffeeklatsch mit Oma und deren Nachbarschaft zur Feier der Schwangerschaft. Zack! Hand auf dem Bauch.
ES.GEHÖRT.SICH.NICHT.
Man fasst auch nicht dem Mann an der Aldi-Kasse an den Bauch, weil man ein nettes Sixpack vermutet.
Und man befühlt auch nicht des Nachbars dicken Bauch, weil er so schön rund und weich aussieht.
Inzwischen siehst du also aus wie ein Nilpferd auf zwei Beinen. Und jeder fragt dich, warum du so viel zugenommen hast.
„Also ich habe damals nur 7 kg zugenommen“ „ Das viele Wasser, ist das normal?“ „Du musst jeden Tag ölen, gegen die Schwangerschaftsstreifen.“
Fakt ist: Je kräftiger man vor der Schwangerschaft war, umso weniger sollte man zunehmen. Ein Stock auf zwei Beinen kann gut und gerne 15 kg und mehr zunehmen. Wer zu viel und zu schnell zunimmt, sollte mit seinem Arzt sprechen, denn dann kann auch mal ein Diabetes oder eine Präklampsie dahinterstecken.
Das Baby kommt bald
Der Geburtstermin steht bevor. Mach Dich auf etwas gefasst. Und erzähle niemandem, wenn Du „gezeichnet“ hast. Wenn also der berühmte, den Geburtsbeginn anzeigende Schleimpfropf abgegangen ist. Sonst weiß es bald die Nachbarschaft.
Zur Geburtseinleitung wird gerne ein Cocktail aus Rizinusöl und Sekt mit diversen anderen Zutaten empfohlen. Sagt die Hebamme, sagt Doktor Google, sagt die Nachbarin. Das Rizinusöl löst Durchfälle aus, die wiederum zu Wehen anregen sollen. Der Alkohol soll entspannen. Wer, der ein gutes Gewissen behalten will, empfiehlt einer Schwangeren Alkohol?
Nun stellen wir uns mal vor, das Kind liegt falsch herum im Bauch. Mit dem Popo nach unten, es droht die Beckenendlage. Nun kommen manche (nicht alle, ich möchte nicht verallgemeinern) Hebammen auf die Idee, das Kind durch die so genannte Moxibustion zu wenden. Die Moxibustion ist ein Verfahren aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), bei dem Beifuß–Kräuter über speziellen Punkten der Haut verbrannt werden. Es gibt sogar einen Cochrane- Analyse darüber, die eine Wirkung weder bestätigen noch ausschließen kann, da ist keine ausreichenden klinischen Studien darüber gibt. Wie die meisten dieser Verfahren beruhen die „Erfolge“ auf Hörensagen.
Das Baby will nicht
Da sind sie. Die Wehen sind da. Und wieder weg. Und wieder da. Sie wollen nicht so richtig.
Zack! Hält Dir die Hebamme Globuli unter die Nase. Du bist genervt, weil alles so lange dauert. Du möchtest endlich Dein Baby im Arm halten. Also nimmst Du die Zuckerkügelchen eben ein. Du hoffst so sehr, dass sie helfen. Und da ist sie. Die Super-Wehe! Die Hebamme freut sich, dass die Zuckerkügelchen geholfen haben.
Was am Ende wirklich geholfen hat, war Dein unbedingter, unbewusster Wunsch, dass es weitergeht. Man nennt es Placebo Effekt. Er ist eine sehr wirksam Mechanismus und hält die Verfechter der Homöopathie aufrecht.
Baby im Arm, Zuschauer überall
Nun hast Du Dein Baby also im Arm. Der Arzt flickt Dich noch eben schnell zusammen und der Pflegepraktikant steht interessiert daneben und guckt Dir auf die Eingeweide. Du fragst Dich, ob er so interessiert guckt, weil Du aussiehst, als sei was explodiert. Oder ob er noch nie eine Frau aus der Nähe gesehen hat.
Du spuckst ihm noch schnell die Plazenta entgegen und der Praktikant wird blass. Eigentlich ist es Dir egal, weil Du endlich das Baby hast und der Pflegepraktikant nach dem Anblick sowieso erst einmal für Monate unter Spontanfrigidität leidet.
Dennoch falsch. Keiner hat das Recht, einfach ungefragt zuzusehen. Aber auch hier scheint zu gelten, dass eine Schwangere (oder nun nicht mehr Schwangere) das Recht auf einen freien Willen und Anstand verwirkt hat.
Das Einzige das hilft: Mund aufmachen und seine Meinung äußern!
“Fassen Sie meinen Bauch nicht an.” “Darf ich Ihren nun auch antatschen?” “Ich möchte keine unwirksamen Globuli einnehmen.” “Nein, keinen Alkohol in der Schwangerschaft.”
Demnächst schreibe ich über das Stillen. Denn Deine Brüste gehören ab sofort auch nicht mehr Dir.
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(Bild: Pixabay, Alexas_Fotos)