Frau Müller hat um einen längeren Gesprächstermin gebeten.
„Da stimmt was nicht“, sagt sie. „Vielleicht die Schilddrüse oder die Hormone. Oder die Wechseljahre vielleicht.“ Frau Müller ist etwa Ende Dreißig und - sagen wir mal - gut genährt.
Für beginnende Wechseljahre halte ich die Dame für ein bisschen zu jung, aber bekanntermaßen gibt es in der Medizin nichts, was es nicht gibt und auch die Wechseljahre können sich mit Mitte Dreißig schon ankündigen.
Und die Schilddrüse ist ja bekanntermaßen ein häufiges Problem und gerne auch die Erklärung für einfach alles.
Stimmungsschwankungen? Schilddrüse
Gewichtszunahme? Schilddrüse
Haarausfall? Schilddrüse
Ich will das jetzt aber nicht klein reden. Die Schilddrüse kann wirklich ein Miststück sein und sich hinter vielen Beschwerden verstecken.
Ich hake also nach.
„Worum geht es denn? Welche Beschwerden haben Sie?“
„Ich kann machen, was ich will. Ich werde immer dicker. Dabei esse ich fast nichts.“
Bei dem Satz werde ich stets hellhörig, denn häufig summiert sich dieses „Nichts“ im Tagesverlauf auf über 2000 KCal, weil der Schokoriegel oder die zwei Löffel Zucker im Kaffee (dreimal am Tag) vergessen werden.
Ich schaue mir Frau Müllers alte Blutwerte an, wir machen einen Termin für das Labor aus und unterhalten uns über ihre Ernährung.
„Morgens esse ich maximal ein Brötchen. Ein halbes Brötchen mit Wurst und eins mit Marmelade. Dazu zwei Tassen Kaffee mit Milch. Dann gehe ich ins Büro. Um 12:00 Uhr machen wir Mittag, da esse ich dann Salat oder Hähnchen oder irgendetwas Leichtes. Wenn ich nach Hause komme vielleicht ein kleines süßes Stückchen, aber nur ein kleines. Und abends eine Scheibe Brot.“
Nach ihren Erläuterungen klingt es wirklich nicht nach Völlerei, aber auch nicht nach einer gesunden und ausgewogenen Ernährungsweise.
„Wie sieht es denn aus mit Bewegung? Sport? So als Ausgleich zu Ihrem Bürojob ?“
„Ich geh mit dem Hund. Zweimal! Morgens und abends.“ Vor meinem geistigen Auge sehe ich ein langsames, zwanzigminütiges Schlendern mit Waldi.
„Hmhm... Obst, Gemüse?“
„Ja, schon. Manchmal. Aber das ist so blöd ins Büro mitzunehmen.“ Vor meinem geistigen Auge sehe ich Äpfel und Karottenschnitzchen in Tupperdosen. Voll blöd.
Wir einigen uns darauf, dass Frau Müller ein Ernährungstagebuch führt. Und wir uns dann nach der Blutentnahme wieder sprechen.
Softdrinks sind nicht so soft
Zwei Wochen später ist sie dann wieder bei mir. Die Schilddrüsenwerte waren erwartungsgemäß in Ordnung, das Cholesterin für ihr Alter zu hoch, insbesondere der Quotient von in der LDL zu HDL gefällt mir nicht. Auch der Langzeitblutzuckerwert liegt in einem Bereich, der noch nicht wirklich krankhaft, aber auch nicht mehr in Ordnung ist.
Als ich mir das Ernährungstagebuch anschaue, wird mir auch klar, warum die Dame nicht abnimmt: 1,5 l Cola rauschen täglich durch ihren Körper. Leere Kalorien ohne Nährwert. Süße Getränke sind Gift.
„Aber Wasser kann ich nicht trinken. Das schmeckt doch nicht.“
Ich schlage sehr dünne Saftschorlen vor oder ungesüßte Tees. Sie möchten auf Coke Zero umsteigen und ich verneine. Süßstoffe führen aktuellen Studien zufolge nicht zu einer Gewichtsabnahme und können sogar gesundheitliche Probleme verursachen, die durch appetitanregende oder Darmflora verändernde Eigenschaften der Süßstoffe hervorgerufen werden.
Außerdem wiegen sich Patienten, die viele Süßstoffe zu sich nehmen, in falscher Sicherheit bezüglich ihrer Kalorienaufnahme. Das bedeutet: was sie glauben, an Kalorien durch die Süßstoffe einzusparen, nehmen sie an anderer Stelle wieder zu sich.
Fakt ist: es bringt nichts. Man kann „giftige“ Getränke nicht durch Getränke ersetzen, die einfach anderen Schrott beinhalten.
Ich bin sogar dafür, diese ganzen Schrottgetränke so teuer zu machen, dass kein Mensch sie mehr kaufen will. Wie damals (hach ja), bei den sogenannten Alcopops wie Bacardi Rigo und Smirnoff Ice, die so lecker waren, dass Jugendliche sich damit die Birne voll dröhnten. Ich arbeitete zu der Zeit in einer Disco an der Bar und habe es gesehen. Das Zeug wurde wie Limo getrunken. Die Getränke wurde schließlich mit einer Sondersteuer versehen, damit es aufhört, was den Untergang der Alcopops bedeutete.
Die eingenommenen Steuern auf Softdrinks könnte man für gesundheitliche Aufklärungsprojekte für Kinder und Jugendliche heranziehen und für Förderprogramme an Schulen bzgl. gesunder Ernährung.
Oder für ein kostenloses, gesundes Schulbrot -die klassische Stulle- für Kinder, deren Eltern es sich entweder nicht leisten können oder kein Schulbrot machen (wollen).
Damit Kinder von Beginn an gesunde Ernährung lernen.
Fleisch ist mein Gemüse
Gerne würde ich an dieser Stelle einen runden Abschluss finden und erzählen, dass Frau Müller auf die Getränke verzichtete und prompt abnahm, bessere Blutwerte hatte und sich eines gesunden Lebens erfreute. Leider habe ich sie nicht mehr gesehen.
Dafür kann ich eine kurze Anekdote eines jungen Mannes anbringen. Nenne wir ihn Herrn Meier. Herr Meier hatte ein paar Kilo zuviel auf den Rippen und für sein junges Alter von Anfang Zwanzig viel zu hohe Cholesterin- und Fettwerte. „Fleisch ist mein Gemüse“, sagte er mir verlegen grinsend.
Drei Monate später kam er wieder. Acht Kilo weniger wog er, die Blutwerte hatten sich normalisiert und er erzählte: Auf Fleisch kann ich nicht verzichten. Aber ich esse es nur noch dreimal die Woche und inzwischen ganz viel Gemüse.“
Die Dosis macht das Gift. Wie immer.
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Quellen:
Gender: Wie immer schreibe ich über alle Geschlechter, wenn ich zugunsten des Leseflusses in der maskulinen Form schreibe.
Patienten: Die Patientennamen und -geschichten sind verändert. Frau Müller und Herr Meier sind gewissermaßen Patientenhybride.
Bild: Pixabay, quinntheislander