Heute vor zehn Jahren habe ich meiner Mutter zum Geburtstag zum letzten Mal ihre Lieblingssuppe gekocht. Zu dem Zeitpunkt konnte sie kaum noch essen. Der Krebs hatte sie gezeichnet, ihr war immer übel, die Tumorkachexie war schwer ausgeprägt und man hatte ihr aufgrund einer Kieferosteonekrose nach Bisphosphonaten alle Zähne gezogen. Danach hatte sie aufgegeben. Mit ihren 57Jahren sah sie sehr alt aus.
Vier Tage später starb sie.
Wir saßen neben ihr im Krankenhaus, als sie immer schwächer wurde und die Hand schon kalt in meiner lag.
Als sie gestorben war, öffnete die Pflegekraft das Fenster, damit ihre Seele heim gehen kann. Es war ein christliches Krankenhaus, ich persönlich glaube nicht an einen Gott, aber meine Mutter tat es. Und in dem Moment schien an diesem grauen Oktobertag ein Sonnenstrahl ins Zimmer.
Es war ein schöner und beruhigender Anblick, ihr hätte es gefallen.
Danach war alles anders.
Wir mussten einen Haushalt auflösen, Papierkram erledigen und die Beerdigung organisieren. Zum Trauern blieb wenig Zeit.
Ich schrieb ihr einen Brief mit einem bekannten Gedicht, den ich ins Grab legte:
Es sandte mir das Schicksal tiefen Schlaf.
Ich bin nicht tot, ich tauschte nur die Räume.
Ich leb in euch, ich geh in eure Träume,
da uns, die wir vereint, Verwandlung traf.
Ihr glaubt mich tot, doch daß die Welt ich tröste,
leb ich mit tausend Seelen dort,
an diesem wunderbaren Ort,
im Herzen der Lieben. Nein, ich ging nicht fort,
Unsterblichkeit vom Tode mich erlöste.
(Michelangelo)
Aber die Trauer machte sich dennoch bemerkbar. Noch Monate später schreckte ich nachts von Träumen geweckt hoch, weil ich nicht mehr einordnen konnte, ob sie wirklich gestorben war.
Meine Mutter hatte noch die Kraft, meine Approbation mit mir zu feiern und die erfolgreiche Ausbildung meines Bruders. Aber sie hat nie ihre Enkelkinder kennengelernt und sie kennt mich nicht, wie ich inzwischen bin. Nach Hochzeit und Scheidung, mit Kindern, nach Defibrillatiorimplantation, nach mehreren Berufen und jetzt als ein Mensch, der trotz der Schwierigkeiten wirklich glücklich im Leben ist.
Manchmal brauche ich diesen Moment der Trauer, denn meine Mutter werde ich immer vermissen.
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Bild: Pixabax/Stux