Mit Schmackes erbrach sich die schwangere Frau auf dem Weg zur Notsectio direkt neben mir und der Mageninhalt fand seinen Platz mit einer Trefferquote von ungefähr 95% in der Nierenschale. Die restlichen 5% landeten in meinem Gesicht: Sprenkel flogen auf meine Brille, Bröckchen auf meinem Mundschutz und Tröpfchen auf meine Haut zwischen Mundschutz und Brille.
Die Anästhesiepflegerin schaute mich etwas mitleidig an und sagte mit verstecktem Grinsen: „Du bist ein bisschen blass geworden.“ Zwischen Mundschutz und Brille muss ich wirklich weiß wie eine Wand gewesen sein, verziert mit den zarten Sprenkeln aus dem Innersten eines fremden Menschen.
Ich ging mich dann mal waschen und war sehr froh über meinen Mundschutz und die Brille, denn im Auge möchte man fremde Körperflüssigkeiten nun auch nicht haben.
Ekliges Allerlei, verziert mit dem zarten Duft nach Lindenblüten
Damals im PJ (Praktischen Jahr) wunderte ich mich noch, wie man so locker mit den Ekligkeiten umgehen kann, die man während seiner ärztlichen oder pflegerischen Tätigkeit erlebt. Blut, Urin, Stuhl, Schleim, Eiter, Erbrochenes. Nichts Menschliches ist mir fremd, wie man so schön sagt.
Da wird man bereits im Pflegepraktikum in fliegenden Hautschüppchen gebadet, wenn man den Patienten die Thrombosestrümpfe abzieht. „Ob die bei tiefer Inspiration in der Lunge landen?“, fragte ich mich damals und hielt die Luft an. Fremdepithelialisierung der Atemwege, quasi.
Als studentische Aushilfe in einer Zahnarztpraxis sah ich die Zahnstein-Bröckchen bei der Zahnreinigung fliegen und im PJ bekam ich als Blutentnahmemaschine zuweilen viel Blut ab und Nadeln landeten in den Fingern, so dass ich mich zwecks HIV- und Hepatitis-Test vertrauensvoll an den nächsten D-Arzt wenden durfte. Mehrfach.
Während meines gefäßchirurgischen PJ-Tertials schnupperte ich den zarten Duft von Lindenblüten an infizierten Knöchelulzera, weil Pseudomonaden sich dort gerne mal heimisch fühlen.
Als Ärztin in der Pathologie bekam ich Leichenfettbröckchen ins Ohr geschleudert, als der Kollege sich die Handschuhe zu schwundvoll auszog und ich badete bis zu den behandschuhten Ellenbogen im verkoteten Spülwasser, wenn ich den herauspräparierten Darm aufschnitt und reinigte.
In der Inneren Medizin waren Diarrhöen oder streng riechende Harnwegsinfekte an der Tagesordnung und ich weiß, wie furchtbar Koterbrechen riecht. Oder Teerstuhl.
Verbale Ekligkeiten sind unangenehmer
Nun als Hausärztin werde ich weitestgehend von solchen Dingen verschont, wenn man von ungepflegten Füßen oder einem schlechten hygienischen Zustand absieht, der jedoch gerade bei chronisch kranken oder bei alten Patienten durch fehlende Hilfe bei der Körperpflege zustande kommt und den Patienten selbst sehr unangenehm ist. Nicht umsonst sagt man, dass die Füße einen guten Hinweis auf die Selbstständigkeit eines Menschen liefern. Der Klassiker ist ja, dass der Landwirt sich bei Schmerzen im Fuß nur den einen, den zu untersuchenden Fuß wäscht, und den anderen nicht zeigen möchte.
Das alles juckt mich aber nicht. Krätze, Läuse, ungewaschen Füße, Ausscheidungen. Daran habe ich mich gewöhnt und ich kann über all das reden und nachdenken und parallel mein Lieblingseis essen. Und es wird uns alle irgendwann treffen: Entweder sind wir alt oder gebrechlich, haben lindenblütenartigen Eiter oder liegen hilflos in unseren Ausscheidungen. Dann wünschen wir uns alle, dass jemand uns hilft und es nicht eklig findet.
Denn inzwischen weiß ich: nicht die Körperflüssigkeiten sind das Ekelige. Sondern die verbalen Ausscheidungen, gegen die man manchmal zu kämpfen hat.
„Sie sind ja schon ein saftiger Pfirsich.“
„Können Sie das denn schon?“
„Warum bleiben Sie als Frau nicht zuhause bei den Kindern?“
„Ah, die Prinzessin nimmt Blut ab.“
"Du bist Ärztin? Machst Du auch Prostata-Untersuchungen?"
Gegen die Sprüche hilft kein Waschen und kein Desinfizieren.
Dagegen helfen jedoch die vielen netten Patientinnen und Patienten, die man zum Glück tagtäglich erlebt und die mir eine heißgeliebte Ekligkeit mitbringen, die sonst kein Mensch mag:
Mon Cheri.
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Gender: Wie immer meine ich alle Geschlechter, wenn ich auch in der maskulinen Form schreibe.