Scheinbar bedrückt sitzt die junge Frau vor mir. „Ich brauche die 'Pille danach'“, sagt sie leise und schaut beschämt zu Boden.
Die 'Pille danach' bekommt man eigentlich rezeptfrei in der Apotheke, aber sie scheint besorgt zu sein und braucht vielleicht einfach ein offenes Ohr.
„Das ist kein Grund, sich zu schämen“, sage ich. „Das ist wahrscheinlich uns allen schon mal passiert.“
Sie schaut zu mir hoch, verwundert, dann grinst sie erleichtert.
„Das Kondom ist gerissen. Und die Pille nehme ich nicht.“
Ich wundere mich immer über die vielen gerissenen Kondome. Eigentlich kann man die Teile strapazieren, aufpusten, Wasser einfüllen, einen Knoten reinmachen und wunderbare Mehl-Stresssäckchen aus ihnen herstellen, und nichts reißt. Aber alle berichten davon, was wohl an Fingernägeln im Eifer des Gefechts, Bodylotion und an falscher Größe des Kondoms liegt.
„An welchem Zyklustag befinden Sie sich denn und wann war der Geschlechtsverkehr?“, frage ich, denn die 'Pille danach' wirkt nur in einem gewissen Zeitfenster.
„Zyklustag?“, fragt sie verwundert. „Ich hab keine Ahnung.“
„Wann war denn ihre Periode?“
„So vor sieben bis zehn Tagen.“
Mist. Mitten ins Schwarze. Voll fruchtbar.
Der weibliche Zyklus
Der weibliche Zyklus scheint für viele Menschen ein absolutes Mysterium zu sein. Frauen nehmen häufig die Pille und bekommen von ihm nichts mit, außer, dass in der Pillenpause die Abbruchblutung einsetzt. Denn unter der Pille gibt es keine normale Menstruation, sondern die Frau blutet, weil die tägliche Pille ausbleibt.
Und die meisten Männer haben sowieso keinen Schimmer, wann und ob und warum da gerade ein Ei springt. Und warum Frauen bluten. Und warum sie schwanger werden.
Wir leben in einer total aufgeklärten Welt, überall gibt es schöne nackte Menschen und Jugendliche sehen sich mit 13 Jahren schon Pornos auf dem Smartphone an. Aber dass Frauen bluten, Kinder bekommen können und wie das Ganze funktioniert, scheint in den Köpfen nicht verankert zu sein.
Also starten wir die Aufklärungsstunde.
Der weibliche Zyklus ist normalerweise etwa 26-30 Tage lang und beginnt an Tag Eins. Tatsache. Und zwar mit dem Einsetzen der Monatsblutung. Ich gehe hier nun nicht auf die hormonellen Mechanismen ein, das würde für einen Blog zu ausschweifend werden.
Die Blutung dauert in der Regel (höhö) etwa 4-6 Tage und kommt zustande, weil im vorherigen Zyklus keine Befruchtung stattgefunden hat und die Gebärmutter ihre Schleimhaut abstößt.
Deswegen besteht das Blut nicht nur aus Blut, sondern auch aus Bröckchen und Schleim.
Nachdem die Schleimhaut abgestoßen wurde, muss sie sich also für eine mögliche neue Schwangerschaft wieder aufbauen. Hormonelle Mechanismen sorgen dafür, dass die Schleimhaut dies tut und normalerweise ist sie um den 14. Zyklustag hoch genug, so dass sich eine befruchtete Eizelle einnisten könnte. Gleichzeitig findet um den 14. Zyklustag der Eisprung statt und die Eizelle ist etwa 24 Stunden lang befruchtungsfähig. Nur einen Tag lang.
Aber: Da Spermien fünf bis sieben Tage lang im weiblichen Körper überleben können und auf die Eizelle warten, sind auch die Tage vor den Eisprung „gefährlich“. Einen Tag nach dem Eisprung ist eine Befruchtung also schon nicht mehr möglich, aber welche Frau weiß nun ganz genau, wann der Eisprung war?
Wenn die Eizelle nicht befruchtet wurde, geht sie zugrunde und nach etwa 14 Tagen wird die Gebärmutterschleimhaut wieder abgestoßen. Circle of life. Oder nicht life, in dem Fall.
'Pille danach'
Die 'Pille danach' setzt nun hormonell vor dem Eisprung an und verschiebt ihn einfach um ein paar Tage nach hinten. Damit die Spermien elendig auf ihre angebetete Eizelle warten müssen, bis sie zugrunde gehen.
Es gibt zwei Wirkstoffe, die ein unterschiedliches Wirkfenster haben. Ulipristalacetat (EllaOne®) wirkt bis kurz vor dem Eisprung und kann bis zu 120h (5 Tage) nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr eingenommen werden. Levonorgestrel (z.B. PiDaNa®) wirkt kurz vor dem Eisprung nicht mehr und kann bis zu 72h (3 Tage) nach dem ungeschützten Verkehr verwendet werden. Wichtig ist aber eine möglichst schnelle Einnahme der 'Pille danach', am besten innerhalb von 12 Stunden nach dem Verkehr. Und: Nicht immer kann eine Schwangerschaft verhindert werden.
Wenn sich eine Frau nun nachweislich mehrere Tage nach dem Eisprung befindet, also beispielsweise an Zyklustag 20 und weiß, wann sie ihren Eisprung hatte, dann könnte man auf die 'Pille danach' verzichten. Das Problem: Die meisten Frauen kennen ihren Zyklus nicht und könnten nicht mit Sicherheit sagen, wann der Eisprung stattgefunden hat. Zumal er bei vielen Frauen auch unregelmäßig auftritt.
Mit Hilfe von morgendlicher Temperaturmessung kann man sicher sagen, dass ein Eisprung stattgefunden hat, wenn die sogenannte Basaltemperatur angestiegen ist und auf dem erhöhten Niveau bleibt. Auch der Zervixschleim verändert sich um die Eisprung herum und wird glasig wie Hühnereiweiß und spinnbar - er lässt sich zwischen den Fingern lang ziehen.
Aber igitt, dafür müsste man den ja anfassen (Disclaimer: das war Ironie). Das finden viele Menschen nun wieder eklig und wollen sich nicht so genau beobachten. Schade eigentlich, denn wenn Frau ihren Körper kennt, wird so vieles leichter.
Ohne schlechtes Gewissen, bitte!
Auch meine Patientin kann mir nicht ganz genau sagen, wo in ihrem Zyklus sie sich befindet und da sowieso bei vielen Frauen Unregelmäßigkeiten stattfinden, ist im Falle von ungeschütztem Verkehr oder einer Verkehrspanne die 'Pille danach' häufig angebracht.
An dieser Stelle sei noch gesagt, dass bei ungeschütztem Verkehr Geschlechtskrankheiten übertragen werden können, vor denen die 'Pille danach' natürlich nicht schützt. Auch darüber rede ich mit meiner Patientin, aber der "Unfall" ist in einer seit Jahren stabilen Beziehung passiert, so dass sie sich keine Sorgen darüber macht. Und wir reden über die Sache mit der Temperatur und dem Zervixschleim.
Ich kann ihr kein Rezept ausstellen, aber sie geht nun in die Apotheke und holt sich die 'Pille danach'. Dort wird sie nochmal beraten werden. Dennoch scheint ihr das Gespräch Klarheit gegeben zu haben und das ist ja manchmal auch wichtig, gerade für zukünftige Verhaltensweisen.
Wichtig noch: Die 'Pille danach' ist keine Abtreibungspille!
Wenn Euch also jemand ein schlechtes Gewissen machen will, pfeift drauf. Ihr als Frauen seid diejenigen, die eine Schwangerschaft austragen müssten. Ihr müsst zwar auch die Nebenwirkungen der 'Pille danach' aushalten, aber die hören auch wieder auf.
Und nochmal: Die 'Pille danach' gibt es rezeptfrei in der Apotheke und um es mit den berühmten Worten eines ehemaligen Berliner Bürgermeisters zu sagen: Und das ist auch gut so.
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Bild: TBIT, Pixabay