Da sitzen wir nun dank des neuartigen Coronavirus in unseren Wohnungen, zwischen all dem Klopapier und all den Nudeln, und wissen nicht, ob wir noch mit unserem Hund vor die Tür gehen dürfen.
Nun habe ich weder Klopapier über die Maßen, noch mehr Nudeln als sonst, und einen Hund habe ich auch nicht. Und ich sitze auch nicht panisch in meiner Wohnung und weiß nicht, wie ich vor Angst den Tag überstehen soll.
Was natürlich auch daran liegt, dass ich glücklicherweise relativ jung und gesund bin.
Flatten the curve
Aber: ich will niemanden gefährden, passe auf meine Mitmenschen und mich auf und halte mich daher natürlich an die Vorgaben.
Nämlich:
- nicht in größere Menschenmengen begeben,
- Abstand zwischen mich und andere Menschen bringen (#socialdistancing),
- Hygienevorgaben einhalten.
Für mich ist das keine große Veränderung. Ich sitze meistens abends zuhause und lege Wäsche oder räume die Küche auf. Weil ich Kinder habe, die (normalerweise) am nächsten Tag zur Schule gehen müssen. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal auf einer Großveranstaltung wie auf einem Konzert oder in einer Disco war.
Meine Freizeit - coronaunabhängig- besteht aus Joggen, Mountainbiken und Schwimmen, aus meinem Gemüsegarten und natürlich aus Aktivitäten mit den Kindern, die sich aber außerhalb von Indoor-Spielplätzen und Massenbespaßung abspielt. Weil ich seit jeher einen Ekel vor den angetatschen Hüpfburgen und vollgeschnodderten Fahrgeschäften in Freizeitparks habe. Und: mir fehlt einfach das Geld, meine Kinder dauernd von extern bespaßen zu lassen. Ich gebe aber zu, dass wir gerne in Museen gehen.
Nun müssen wir uns also im Garten beschäftigen. Monopoly spielen. UNO spielen. Im Wald spazieren. Regenwürmer im Terrarium untersuchen. Gummistiefel anziehen und die überfluteten Wiesen besuchen. Und ab und an mal einen Film sehen oder die Kinder ihrer Kreativität überlassen, auch wenn sie gelangweilt neben mir stehen. Also irgendwie alles wie immer für mich, nur ohne die Schule.
Die Situation ist dennoch eine besondere, weil die Kinderbetreuung für viele Menschen nicht gesichert ist und man auch nicht einfach Ferien oder Urlaub mit den Kindern machen kann. Erschwerte Bedingungen und wirtschaftliche Einbußen, keine Frage.
Auch unser normales, soziales Leben leidet. Nicht einfach mal spontan einen Kaffee trinken gehen, keine Kinobesuche mit Freunden, kein Shopping, kein betreutes Trinken im musikalisch untermalten Ambiente, keine Treffen im Schützenverein/Kegelklub/Vogelschutzverein.
Das tut weh. Den jungen Wilden, den mittelalten Familien und den alten Einsamen.
Entschleunigung war mal en vogue
Da ist sie, die Entschleunigung, von der man in diversen Frauenzeitschriften immer las. „Nehmen Sie sich Zeit für ein gutes Buch. Verbringen Sie Qualitätszeit mit ihren Lieben. Genießen Sie Ruhe und Stille.“ Und nun, da wir diese Qualitätszeit haben könnten, ist es irgendwie gar nicht mehr so krass geil. Aufoktroyierte Entschleunigung will man nun auch wieder nicht haben.
Aber genau jetzt ist sie ein guter Rat. Denn wir müssen diese Zeit, die in die Geschichte eingehen wird, irgendwie überbrücken und das hoffentlich gesund und munter und ohne unsere Mitmenschen gefährdet zu haben. Noch kann man ja nicht absehen, wie es sich entwickeln wird. Es gibt Prognosen und Hochrechnungen, aber erst im Nachhinein wird man Kassensturz machen können und sagen: „Es war genauso schlimm/schlimmer/weniger schlimm als befürchtet.“ Dazu möchte ich an dieser Stelle auch nicht spekulieren, auch wenn ich glaube, dass die Situation sich gerade selbst befeuert.
Manchmal muss man die Dinge einfach annehmen, wie sie sind, aber blöderweise wollen wir ja immer das, was wir nicht kriegen dürfen. Gäbe ich meinen Kindern drei Wochen Süßigkeitenverbot (was ich nicht mache, weil ich „Strafen“ per se albern finde), wollten sie sicher jeden Tag umso mehr naschen.
Höre ich, dass ich drei Wochen lang nicht ins Kino gehen darf, beschwere ich mich lautstark über die fehlende Möglichkeit der medialen Berieselung aus Hollywood. Man muss ja schließlich auf dem Laufenden bleiben - auch wenn ich vielleicht ein halbes Jahr schon nicht mehr im Kino war. ABER JETZT WOLLTE ICH DOCH GEHEN UND IHR KÖNNT MICH NICHT AUFHALTEN. Grundgesetze und so.
Aber ja, gerade für Alleinstehende und Singles ist die Isolation beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, weil sie sowieso schon viel alleine sind und die Aktivitäten außerhalb ihr soziales Netz sind. Hinzu kommt die fehlende Zuwendung, das Körperliche und die Nähe. Wir Menschen sind soziale Wesen und benötigen Zuwendung und auch einfach mal eine Umarmung. Zugegebenermaßen weiß ich hierfür keinen Rat, weil ich die Einsamkeit in der leeren Wohnung kenne. Wieso kam ich wohl zu Twitter und zum Schreiben… Die sozialen Netzwerke können tatsächlich stabilisierend wirken, wenn man auch auf das Überangebot an News mit Überforderung und Panik reagieren kann. In dem Fall braucht man seine Freunde. Aber dann im Kleinen. Zweisamkeit bei einer Tasse Kaffee zuhause oder auf dem Balkon und nicht im überfüllten Straßencafé.
Das Beste aus der Situation machen
Wir müssen uns aktuell umstellen und wir müssen versuchen, die Zeit anders zu bewerten. Besinnung auf das Wesentliche. Bücher lesen, die man schon immer lesen wollte. Mal wieder Musik hören. Texte schreiben oder kreativ sein. Telefonieren, facetimen und die neuen Medien nutzen. Mal wieder lecker kochen, die Wohnung aufräumen, die Kinder zum Ausmisten ihrer Schubladen animieren, in denen Ü-Ei-Figuren, Stöcke und Buntstiftminen ihr jämmerliches, sozial abgeschottetes Dasein fristen.
Was wollten wir schon immer machen? Ach ja, die Kisten im Keller aussortieren, die Steuererklärung machen, die Regale auswischen und den Balkon schön herrichten. Also alles, wofür wir eigentlich keine Zeit hatten.
Vielleicht macht in dieser Zeit auch die Digitalisierung einen Sprung nach vorne, weil es einfach passieren muss. Aus der Not kann man eine Tugend machen. Vielleicht wird auch unser Gesundheitssystem mal umgekrempelt - weg von DRG und Fallzahlen. Vielleicht bekommen Pflegekräfte und Gesundheitsberufe endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdienen, weil sie zusammen mit den Ärzten und Ärztinnen die Versorgung sichern und Höchstleistungen liefern.
Es sind gerade viele „Vielleicht“, weil wir die Situation nicht überblicken können. Eine Chance in der Situation zu sehen, können wir aber versuchen.
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Bild: Pixabay, Peggychourcair