Wann immer man etwas mediale Aufmerksamkeit haben möchte, muss man nur ein Zauberwort sagen: Brüste.
Und schon kommen sie angelaufen: Menschen jeder Couleur und jedes Geschlechts schnappen sich eine Tüte Popcorn, setzen sich hin und harren der Dinge, die da kommen mögen. Dabei ist auch die sexuelle Orientierung vollkommen unerheblich. Brüste verbinden die Welt. Brüste haben Macht. Muahaha. Man stelle sich vor, wie ich diabolisch lachend vor dem Rechner sitze und die Weltherrschaft plane. Pinky und Brain haben keine Brüste, deswegen hat es mit der Weltherrschaft auch nicht geklappt. Das war vielen von euch vielleicht nicht klar, aber jetzt wisst ihr es ja.
Brüste sind Macht
Also nochmal: Brüste sind Macht. Und dabei ist es vollkommen unerheblich, ob sie klein oder groß sind. Zugegebenermaßen scheinen größere Exemplare mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, weil man sie besser in die mediale Szene setzen kann. Das heißt aber nicht, dass sie beliebter oder schöner sind. Man(n) (und Frau) schaut nur mehr hin. Aber nichtsdestotrotz sind auch kleine Brüste das Zeichen von Weiblichkeit. Einfach, weil sie Brüste sind.
Das mit der Macht glaubt ihr mir nicht? Ein paar Beispiele:
Für Frauen in höheren beruflichen Positionen ist es nahezu verpönt, mit Hilfe der Kleidung die Brüste zu betonen. „Die hat es aber nötig“, sagen manche. Menschen starren ihnen ins Dekolleté und die Damen werden prompt weniger ernst genommen. Als hätten große Brüste eine reziproke Proportionalität zum Gehirn: Je größer die Brüste, desto kleiner das Hirn. Je kleiner die Brüste, desto größer das Hirn. (Wobei: bei mir als Frau mit kleiner Ausstattung trifft dieses eiserne Naturgesetz natürlich zu, ist klar, oder?)
Verhüllt eine Frau ihre Weiblichkeit aber komplett, scheinen ihr die weiblichen Attribute zu fehlen und sie wird in die männliche Kategorie geschoben. Das bedeutet für sie mehr Konkurrenz.
Es ist wie mit dem Make Up der Frau. Zu geschminkt heißt: peinlich, auffällig, inkompetent, unseriös.
Gar nicht geschminkt bedeutet hingegen: maskulin, Mannsweib, ungepflegt.
Ihr merkt, dass ich den Effekt überzeichne, um ihn ein wenig herauszuarbeiten.
Das Äußerliche ist eine ständige Gratwanderung für Frauen im Berufsleben.
Ein anderes Beispiel: eine Schauspielerin zieht sich für eine Zeitschrift aus. Prompt hat sie die Aufmerksamkeit auf ihrer Seite.
Und noch eine Exempel: Stillen in der Öffentlichkeit wird nach wie vor kritisch und nahezu fremdschämend beäugt. „Muss das denn hier sein“, raunen die Leute, wenn sie im Café neben einer stillenden Mutter sitzen. „Kann sie das denn nicht zuhause machen?“
Nein, manchmal kann die Mutter das nicht zu Hause machen.
Eltern kennen dieses Problem: wenn ein Baby Hunger hat, hat es Hunger. Und zwar jetzt. 15 Minuten oder gar länger zu warten, bis man es zu Hause füttern kann, käme dem Versuch gleich, innerhalb von zehn Minuten ein 3- Sterne-Menü aus einer Packung Salamiwürstchen und dem abgelaufenen Zitronenjoghurt aus der hintersten Kühlschrank-Ecke zu zaubern.
Also nutzt frau, was die Natur ihr gegeben hat: Brüste. Das Kind dockt an und ist prompt zufrieden. Problem gelöst. Brüste sind Nahrung.
In manchen Kulturen haben sie auch keine sexuellen Bedeutung, sondern sind schlicht Ernährung für die Kleinen. Weibliche Primaten haben kleinere Brüste als weibliche Menschen, und sie flachen sehr deutlich ab, sobald die Ernährung des Nachwuchses abgeschlossen ist. Es gibt verschiedene Theorien, warum die Brüste der Menschenfrauen größer und runder geworden sind: zum einen sollen sie durch ihre Form den Po nachbilden, der mit Entwicklung des aufrechten Gangs nicht mehr als hervorstechendes, sexuelles Merkmal zu sehen ist. Zum anderen sollen runde Brüste den Säugling beim Trinken vor dem Ersticken bewahren, weil sie nicht mehr wie Primatenbabys hervorstehende Kiefer haben, die das Brustgewebe zur Seite schieben.
Ein ganz bisschen Anatomie
Ob die letztgenannte Theorie wirklich Hand und Fuß hat, kann ich nicht beurteilen. Denn eigentlich gibt es ja so viele unterschiedliche Formen, und nicht alle sind rund.
Der Aufbau der Brüste ist jedoch natürlich grundsätzlich immer gleich: Die weibliche Brust besteht aus 10-20 Drüsenläppchen und ist in Fett- und Bindegewebe eingelagert. Diese Drüsen enthalten Endstücke, die über das Milchgangsystem zusammenfließen und in der Brustwarze enden. Wieviel Fett eingelagert ist, hängt zum einen mit der Genetik, zum anderen mit dem Körpergewicht zusammen. Das Drüsengewebe wird mit zunehmendem Alter außerdem durch Fettgewebe ersetzt und kann dann an Fülle zunehmen. Ich sehe also meine große Stunde als Frau mit Brüsten noch kommen. (Hier wieder ein gedankliches "Muahaha" einfügen).
Große Gewichtsschwankungen machen dem Gewebe eher zu schaffen und auch das Stillen lässt sie nicht immer straff zurück.
OP oder nicht, das ist hier die Frage
Das sorgt bei manchen Menschen für Unsicherheit und psychische Probleme, weswegen plastische Operationen durchgeführt werden. Wie Menschen dazu stehen und wie hoch der Leidensdruck ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Als ich sehr jung war, gab es ein Mädchen in der Schule, die auch mit 18 Jahren keinerlei Brustansatz hatte. Amastie nennt man diese völlige Fehlen der Brustdrüse. Die Mitschülerin ließ sich schließlich die Brüste aufbauen, was ich sehr nachvollziehen kann.
Auch nach Brustkrebs, nach Unfällen oder bei großen, schweren Brüsten halte ich die plastische OP für angebracht, nicht jedoch als rein ästhetische Maßnahme, weil man von einer kleinen auf eine mittlere Brust aufbauen will. Oder von einer großen auf eine gigantische. Dafür wäre mir persönlich das Narkose- und Operationsrisiko zu hoch. Außerdem habe ich während meiner Pathologie-Zeit mal ein geplatztes Implantat mit anhängendem Drüsengewebe zugeschnitten und fand das sehr erschreckend. Das Silikonzeug hat das gesamte Gewebe verklebt. Das Reißen der Implantate kommt wohl eher selten vor, aber mich hat dennoch negativ beeindruckt. Aber das ist meine persönliche Meinung und wenn jemand psychisch sehr unter einer kleinen Brust leidet, kann eine OP die Lebensqualität deutlich erhöhen.
Zusätzliche Brustwarzen (Polythelie) finden sich manchmal in der sogenannten Milchleiste und können aus kosmetischen Gründen entfernt werden. Sie sehen selten wie richtige Brustwarzen aus, manchmal auch nur wie kleine Muttermale. Sehr selten kommt es auch zu einer zusätzlichen Brustdrüse, das nennt man dann Polymastie.
Gynäkomastie
Außerdem können auch Männern Brüste wachsen (Gynäkomastie) und das ist psychisch sehr belastend für sie. Bei Neugeborenen und auch in der Pubertät kommt das häufig vor. Die männlichen Brüste bilden sich in diesen Fällen aber meist zurück.
Man unterscheidet eine echte Gynäkomastie mit der Bildung von Drüsengebwebe, von einer Pseudogynäkomastie, bei der Brüste durch Fetteinlagerung bei deutlicher Adipositas entstehen.
Medikamente (z.B. Spironolacton, Antidepressiva), Erkrankungen (z.B. Hormonstörungen, Leberversagen), aber auch die Ernährung (hormonhaltiges Fleisch, Bier) können zu einer Vermehrung des Drüsengewebes und somit zu einer echten Gynäkomastie führen.
Auch Brustkrebs kann in seltenen Fällen mal dahinter stecken, wobei er natürlich keine Vermehrung von normalem Drüsengewebe darstellt.
Erkrankungen der Mammae - ein Fallbeispiel
Um den Artikel nicht zu sprengen, kann ich an dieser Stelle nicht in Hülle und Fülle auf alle Erkrankungen der Brustdrüse eingehen und muss das wohl irgendwann mal separat bearbeiten.
Was mir als Hausärztin aber immer wieder begegnet, sind Entzündungen der Mamillen (Brustwarzen), unklare Tastbefunde, Abszesse und allgemeine Fragen bei Schmerzen und Sorgen.
Ein Fallbeispiel:
„Also, ich hab da ein Problem…“, stammelte die Patientin und wurde rot. Sie war etwas 45 Jahre alt und in Begleitung ihres Mannes da. Die beiden kamen stets gemeinsam in die Praxis, ergänzten sich gegenseitig die Sätze, erinnerten den Partner an Vergessenes und schienen so miteinander verwoben, dass es keine Geheimnisse gab. An diesem Tag aber war das anders.
Sie mochte nicht so recht mit der Sprache rausrücken und er saß im Hintergrund auf der Behandlungsliege und guckte fröhlich.
Sie guckte nicht fröhlich. Sondern verlegen, beschämt und hilfesuchend.
„Ach komm, sag es doch“, meinte er.
„Ich habe da was an der Brust“, sagte sie schließlich. "Ich weiß ja, dass das eigentlich meine Frauenärztin machen muss, aber ich dachte, Sie können mal nachsehen, ob ich wirklich dahin gehen muss. Man bekommt so schwer Termine.“ Der Mann nickte zufrieden.
„Ich kann es mir ansehen, damit ich das beurteilen kann“, sagte ich und sie nickte. Und verharrte.
Ich ahnte, dass es ihr sehr unangenehm war und fragte sie: „Ist es Ihnen lieber, wenn wir das unter vier Augen machen?“, mit Blick auf den Ehemann, dem gerade die Gesichtszüge entgleisten.
Sie nickte und schaute ihn verunsichert an.
Er insistierte. „Ach, das ist doch Quatsch. Ich bin dein Mann, ich weiß, wie du aussiehst.“
Sie schwieg.
Also ergriff ich das Wort: „Können Sie kurz draußen warten, bitte? Es dauert nicht lange.“
Woraufhin er grummelnd aufstand und schimpfend das Sprechzimmer verließ: „Das ist doch Quatsch. Wir haben keine Geheimnisse!“
Als er draußen war, erzählte sie mir traurig, er ließe ihr keinen Wink Privatsphäre. Das sei auch in Ordnung für sie, aber das mit ihrer Brust sei ihr jetzt doch unangenehm. Sie zeige die eben nicht so gerne, auch ihm nicht.
Ich untersuchte sie und stellte einen Knoten in der Brust fest, der sich aber nicht sehr verdächtig anfühlte. Er war gut verschieblich, klein und glatt begrenzt. Brustkrebs, das weiß ich auch aus meinen Pathologie-Zeiten, ist derb, hart, lässt sich nicht abgrenzen und fühlt sich schon irgendwie böse an. Das kann man schlecht beschreiben, aber es fühlt sich tatsächlich wie ein Fremdkörper an, der dort nicht sein darf. Trotz meiner Verdsachtsdiagnose eines gutartigen Knotens, etwa ein Fibrom, überwies ich sie zur Sicherheit zum Gynäkologen und empfahl eine Mammographie, weil sie bisher noch keine gehabt hatte.
Schließlich verließ sie das Sprechzimmer und ich sah den beiden hinterher, wie er schmollend vorausging und sie hintendrein trottete. Wochen später erzählte er mir, dass er drei Tage beleidigt war, weil sie Geheimnisse vor ihm hätte. Aber sorry: Die Brüste gehören der Frau und sie entscheidet, wer was sehen darf. Und wenn noch Erkrankungen hinzukommen, wird ein ohnehin schon sensibles Thema noch sensibler.
Die Patientin litt wohl unter einer Mastopathie. Dabei wird das Drüsengewebe von Zysten und gutartige „Knoten“ durchsetzt, die auf Hormone reagieren und zyklusabhängige Schmerzen und Spannungsgefühle verursachen.
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau und bei früher Diagnose mit einer guten Prognose verbunden.
Mammographie?
Daher habe ich der Dame auch eine Mammographie empfohlen. Frauen ab dem 50. Lebensjahr bekommen von den Krankenkassen alle zwei Jahre eine Mammographie bezahlt, außerdem bei Krankheitsverdacht oder bei familiärer Vorbelastung auch früher. Die zweijährlichen Screeninguntersuchungen werden zunehmend angezweifelt, weil es wohl viele falsch positive Diagnosen (man sieht Krebs, wo keiner ist) gibt und damit zuviel Diagnostik (Biopsien, Stanzen) und zuviel Therapien. Außerdem kann man laut einer Cochrane-Analyse nur einer von 2000 regelmäßig gescreenten Frauen das Leben verlängern (Quelle).
Ich hatte auch schon mal eine Mammographie und es war nicht schlimm, allenfalls etwas unangenehm. Es konnte ein Verdacht ausgeräumt werden, deswegen hat sich das Quetschen und Drücken und Ziehen gelohnt.
Seitdem kann ich wieder ungestört die Weltherrschaft planen.
Muahaha.
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Bild: Pixabay, Suju