Der Impfausweis - ein wichtiges Dokument

Da sitzt mein Patient lächelnd und gut gelaunt vor mir und hält mir seinen Finger entgegen, dessen oberes Drittel aussieht, als habe ein Schwarm hessischer Kriebelmücken daran geknabbert. Wahlweise auch Piranhas, aber die gibt es in Hessen eher selten. 

 

„Die Motorsäge war’s“, erklärt mir der etwa Sechzigjährige. „Wir waren im Wald beim Holz machen, da bin ich abgerutscht. Der Sohn hat mich dann ins Krankenhaus gefahren.“

Kleine Fädchen lugen aus dem heraus, was mal Fingerspitze war. Es sieht tatsächlich nach einer Portion zusammengenähtem Hackfleisch aus, aber die Kollegen in der Klinik haben saubere Arbeit geleistet und der Fingerspitze wieder eine Form gegeben. Der Nagel ist  allerdings passé, aber das hätte auch schlimmer ausgehen können. 

 

„Wie sieht es denn mit der Tetanusimpfung aus?“, frage ich. Die Standardfrage bei Verletzungen. Er schüttelt den Kopf, kramt aber gleichzeitig seinen Impfausweis hervor. 

„Das sollen Sie machen, haben die gesagt.“

 

Innerlich verdrehe ich die Augen Richtung Schädeldecke, weil ich das Abturfen von medizinischen Leistungen ziemlich nervig finde. Nach Verletzungen, auch nach Bagatellen,  ist zumindest das Kontrollieren der letzten Tetanusimpfung essentiell. In der Klinik, in der ich zuletzt arbeitete, stellte das auch kein Problem dar: jeder Patient mit Verletzung bekam eine Auffrischungsimpfung, es sei denn, er führte seinen Impfpass mit dokumentierter und zeitgerechter Impfung mit sich. 

 

Als Hausärztin erlebe ich jedoch, dass diese Maßnahme gerne von den Klinikern zurück an die Niedergelassenen gespielt werden. Aber vielleicht haben sich inzwischen wieder irgendwelche Regularien verändert und die Kliniker dürfen nicht mehr impfen, oder es sind mal wieder wirtschaftliche Gründe ursächlich. Manchmal geben die Mitarbeiter auch zu, dass sie vom Lesen eines Impfausweises keine Ahnung haben. Verständlich. Ich brauchte auch etwas Mühe, bis ich das Dokument mit einem Blick entziffern konnte.

 

Weil ich es aber sehr wichtig finde, möchte ich das Wichtigste nun einmal erklären. 

 

Das Wichtigste in Kürze 

 

Der Impfausweis ist ein international und lebenslang gültiges Dokument, in dem alle Impfungen des Patienten eingetragen werden. Idealerweise erhält man ihn bereits als Säugling, wenn die ersten Impfungen verabreicht werden, und behält ihn lebenslang. Jeder impfende Arzt kann den Ausweis ausstellen. 

 

In den aktuell gängigen Ausweisen sieht man auf der ersten Seite ein paar Erläuterungen  zur Gültigkeit der Bescheinigung. Der Impfausweis ist ein Dokument und kann bei Änderungen der Angaben (z.B. Radieren) seine Gültigkeit verlieren. 

Auf der zweiten Seite erfolgt die Dokumentation einer Gelbfieberimpfung, die als Einreisebedingung in andere Länder verlangt werden kann.  Eine Gelbfieberimpfung kann nur durch staatlich anerkannte Gelbfieberimpfstellen erfolgen.

Mein Impfausweis beinhaltet auf einer der ersten Seiten noch die Bescheinigung über eine Pockenimpfung, die bis 1976 Pflicht war. Ich wurde allerdings nicht mehr gegen die Pocken geimpft. 

 

Die Dokumentation im Impfausweis beinhaltet

  • das Datum der Impfung
  • die Bezeichnung des Impfstoffes und die Chargennummer
  • den Namen der Krankheit
  • Name und Anschrift des Arztes/der Ärztin
  • Unterschrift des Arztes/der Ärztin. In Ausnahmefällen kann das Gesundheitsamt durchgeführte Impfungen beglaubigen lassen. 

 

Nun gehen wir ins Detail

 

Ich habe eine Seite aus einem Ausweis nachgestellt, weil ich natürlich keine Werbung für eine bestimmte Firma oder einen bestimmten Wirkstoff machen möchte.

Hier sieht man also die Tabelle mit Datum der Impfung, dem Handelsnamen und der Chargennummer der Impfstoffes. Meistens kleben ganz viele Aufkleber mit komplizierten Namen, vielen Buchstaben und Ziffern in den Tabellen. Wichtig ist die Chargennummer, falls es doch mal zu ausgeprägteren Nebenwirkungen kommt. Daneben finden sich die Krankheiten, gegen die geimpft wird, sowie Unterschrift und Stempel des Arztes bzw. der Ärztin. 

 

Um zu kontrollieren, ob und wann eine Impfung erfolgte, sucht man in der entsprechenden Spalte - beispielsweise für Tetanus- nach einem Kreuzchen und kontrolliert das Datum. So weit, so einfach. Blöderweise fehlen manchmal die Kreuzchen, weil nur der Aufkleber vorhanden ist (was so definitiv nicht passieren sollte) und  dann muss man sich am Handelsnamen des Impfstoffes orientieren. Das ist nicht immer leicht, da es viele verschiedene gibt, zum Beispiel als Kombinationsimpfstoff, als Einzelwirkstoff und von verschiedenen Firmen.

 

Dann hilft leider nur das Heraussuchen des Präparates im Internet, wenn man den Wirkstoff hinter dem Namen nicht parat hat. Um das Lesen des Ausweises auch für nicht Geübte so einfach wie möglich zu gestalten, ist das korrekte Ausfüllen dessen daher so wichtig. Die Impfung selbst muss der Arzt/die Ärztin durchführen und die korrekte Impfung mit der eigenen Unterschrift dokumentieren. Damit wird eine letzte Kontrolle der korrekten Verimpfung nochmal sichergestellt. 

 

Dann gibt es noch eine Seite, auf der Impfungen frei eingetragen werden: 

Der Aufbau ist ähnlich: Man findet das Datum der Impfung, den Namen der Krankheit, den Handelsnamen des Impfstoffes und die Chargennummer. Zuletzt auch wieder Stempel und Unterschrift des Arztes/der Ärztin. 

 

Tbc, BCG, Titer, TdP - Fremdwörterbingo und Abkürzungsdschungel 

 

In den neueren Ausweisen ist keine Bescheinigung mehr über die Tuberkulose-Schutzimpfung (BCG) enthalten. Falls ihr es auch nicht wusstet: BCG steht für "Bazillus Calmette-Guerin", das sind die Namen der Erfinder des Impfstoffes Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Paris. Er wird noch immer in 158 Ländern der Welt eingesetzt. 

 

Nun folgen noch einige Seiten, auf denen Ergebnisse von Antikörper-Bestimmungen eingetragen werden können. Das erfolgt eher selten, kann aber manchmal wichtig sein. Beispielsweise bei Schwangeren, deren Röteln-Impfschutz unklar ist, oder bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen, deren Hepatitis-B- Impfstatus überprüft werden muss. Das Ergebnis ist der sogannte Titer.

 

Und nun wird es kurz ein wenig komplizierter: Der Titer wird als Verdünnungsstufe angegeben, bei der gerade noch eine Reaktion des Antikörpers erfolgt. Das Blutserum wird also in Zweierstufen verdünnt (1:2, 1:4, 1:8, ..., 1:1024). Die höchste Verdünnungsstufe, bei der eine Infektion verhindert werden kann, ist der Titer.  Ein Titer von 1:1024 gibt also eine höhere Ausgangskonzentration des Antikörpers als beispielsweise 1:64 an, weil trotz Verdünnung noch eine Infektion verhindert werden kann.

 

Häufig bestimmt man den Titer aber gar nicht, sondern impft lieber nach. Eine Titerbestimmung zur Feststellung vorausgegangener Impfungen ist nämlich nicht immer aussagekräftig, denn ein fehlender Titer heißt nicht immer, dass die Impfung nicht durchgeführt wurde. Manchmal entwickelt sich der Titer nur langsam oder flaut wieder ab. Ein hoher Titer ist darüberhinaus kein Beweis für einen ausreichenden Impfschutz, denn die letzte Dosis kann erst kürzlich verimpft worden  sein, so dass jetzt gerade hohe Titer bestehen, aber die Grundimmunisierung noch nicht abgeschlossen ist.  

 

Schwieriger wird es nun, wenn man über die Abkürzungen stolpert und alle gängigen Impfschemata im Kopf haben muss, was von einem Patienten nicht erwartet werden kann. Dafür ist das medizinische Personal schließlich zuständig.

 

Aber hier gibt es eine nette Hilfestellung auf der Rückseite der Impfausweise: 

 

Die Impfungen im Säuglingsalter sind die berühmte Sechsfachimpfung (Tetanus, Diphtherie, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae Typ b, Hepatitis B, Pertussis) und die Impfung gegen Pneumokokken.

 

Haemophilus influenzae Typ b hat nichts mit der Influenza zu tun. Es handelt sich hier um ein stäbchenförmiges Bakterium, das insbesondere bei Kindern Hirnhaut- und Kehldeckelentzündungen hervorrufen kann. Ich wurde als Kind nicht gegen HiB geimpft, weil diese Impfung damals einfach nicht vorgesehen war. Mit Mitte Zwanzig hatte ich dann nach einem Clubbesuch das Vergnügen einer HiB-Infektion und es ging mir selten so schlecht: hohes Fieber, Halsschmerzen des Todes, Heiserkeit, Lymphknotenschwellung am gesamten Körper und zehn Tage Antibiotikatherapie hat mir der Abend beschert. Die Impfung lohnt sich, ehrlich. 

 

Kleinkinder sollten zweimalig gegen Masern, Mumps, Röteln (MMR), Varizellen (Windpocken) und einmalig gegen Meningokokken geimpft werden. Wer als Kind nur eine MMR-Impfung erhielt, benötigt für einen vollständigen Impfschutz eine erneute Impfung, auch im Erwachsenenalter. Wer vor 1970 geboren wurde, benötigt laut STIKO keine Auffrischung, weil man von einer Durchseuchung der "älteren" Bevölkerung ausgeht. 

 

Vorschulkinder benötigen eine Boosterung von Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten, Jugendliche ebenso, plus Polio.  Die initial nur bei Mädchen empfohlene HPV-Impfung gegen das Humane Papillomavirus wird inzwischen auch für Jungen empfohlen. HPV verursacht u.a. Gebärmutterhalskrebs und genitale, zum Teil blumenkohlartige Warzen. Es wird sexuell übertragen, weshalb auch Jungen vor dem ersten Sexualkontakt geimpft werden sollten. 

 

Erwachsene sollten ihren Impfschutz gegen Tetanus, Diphtherie und Pertussis alle zehn Jahre auffrischen. Außerdem sollte die vollständige Grundimmunisierung gegen Polio sowie eine Auffrischung (vier Impfungen insgesamt) vorliegen. 

 

Wer den Text bis hierhin geschafft hat, bekommt noch eine schnelle Liste von den gängigen Abkürzungen:

 

  • aP oder ap: Pertussis
  • D oder d: Diphterie
  • DT oder Td: Tetanus und Diphterie
  • DTaP oder Tdap: Tetanus, Diphterie, Pertussis
  • FSME: Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (Zecke)
  • HA: Hepatitis A
  • HB: Hepatitis B
  • HiB: Haemophilus influenzae Typ b
  • HPV: Humanes Papillomavirus
  • IPV: Inaktivierte Poliomyelitis-Vakzine (Kinderlähmung)
  • MMR: Masern, Mumps, Röteln
  • T: Tetanus (Wundstarrkrampf)
  • Tbc: Tuberkulose 
  • V: Varizellen

 

"Impfausweis? Den habe ich nicht dabei."

 

Auch ältere Impfausweise behalten ihre Gültigkeit, daher sollte man sie gut aufbewahren. Häufig erlebt man es, dass Ausweise verloren gehen und man einen neuen ausstellen muss. Die durchgeführten Impfungen nachzutragen ist dann nur dem Arzt/der Ärztin möglich, der/die die Impfung durchgeführt hat. 

 

Nur dokumentierte Impfungen gelten als durchgeführt!

 

Die STIKO empfiehlt, bei fehlenden Nachweisen oder bei indizierten Impfungen, die nicht dokumentiert wurden, diese nachzuholen. 

 

Ein „Überimpfen“ gibt es nicht. Wenn eine Impfung durchgeführt wurde und man impft „doppelt“, hat die Impfung einfach keinen Effekt. Es gibt ja schon Antikörper. Lokale Nebenwirkungen können allerdings stärker ausfallen, wenn Impfabstände bei Totimpfstoffen weniger als fünf Jahre betragen (Arthus-Phänomen). In der Regel handelt es sich um Schwellungen an der Einstichstelle, Rötungen oder Schmerzen. Gängige Fehler, die stärkere lokale Nebenwirkungen provozieren, sind übrigens: einen Tropfen Impfstoff aus der Nadel drücken, nicht tief genug intramuskulär injizieren (zu kurze Nadel), Desinfektionsmittel auf der Haut noch feucht bei Verimpfung. Das aber nur als kurzer Exkurs.

 

Wichtig ist auch für medizinische Laien, den eigenen Impfstatus zu kennen. Daher: Bitte den Impfausweis suchen und kontrollieren lassen.

 

In Zukunft wird der Impfpass vermutlich auch eine Spalte für SARS-CoV2 enthalten. Auch, wenn das vielen Gegnern nicht gefällt. Impfen hat die Pocken ausgerottet und Polio in den Griff bekommen.  Impfen schützt. 

 

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Quellen: Alle abgerufen am 23.05.2020

https://www.allgemeinarzt-online.de/praxisalltag/a/schwellung-roetung-schmerzen-sind-impfreaktionen-vorhersehbar-1844389

https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/AllgFr_AllgemeineFragen/FAQ01.html?nn=2391120 

https://www.nali-impfen.de/impfen-in-deutschland/impfausweis/

https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/AllgFr_RechtlFragen/FAQ04.html

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Bild: selbst