„Fra Dokta, ich glaub, ich hab die Güddelros“, sagt die etwa siebzigjährige Patientin - ein hessisches Urgestein - und lupft ihr Shirt. An der Flanke leuchtet mir
gerötete Haut mit kleinen, gruppiert stehenden Bläschen entgegen.
„Eja, ich glaub’s auch“, antworte ich und sie lacht.
„Schmezze sin des, ich sag’s Ihnen.“
Gut, dass sie noch lachen kann. Denn die Gürtelrose tut sehr weh, und je nachdem, wo sie lokalisiert ist, kann sie auch schlimme Folgen haben.
Ich verordne ihr ein Virustatikum - ein Medikament, das die Virusvermehrung hindert- und Schmerzmittel. Dann zieht sie von dannen.
Ausgelöst wird die Gürtelrose (Herpes Zoster) durch das Varizella zoster Virus (VZV), auch Humanes Herpes Virus 3 (HHV3) genannt, das überall auf der Welt vorkommt und als einzigen Wirt uns Menschen hat. Das gleiche Virus verursacht auch die Windpocken, die meist im Kindesalter auftreten. Und da liegt die Crux an der Sache: Wer als Kind die zweifelhafte Freude hatte, die Windpocken zu erleben, kann im Erwachsenenalter die Gürtelrose bekommen. Zwei zum Preis von einem! Was für ein Angebot.
Pittoresker Sternenhimmel am Windpockenfirmament
Die Windpocken gehören zu den klassischen Kinderkrankheiten, was aber nicht heißt, dass sie harmlos sind. Sie nehmen zwar selten einen tödlichen Verlauf und heilen in den meisten Fällen auch folgenlos aus, aber sie können dennoch sehr krank machen und gelegentlich auch mit schweren Komplikationen wie Lungen- und Gelenkentzündungen und sogar Enzephalitiden (Entzündungen des Gehirns) einhergehen.
Die Windpocken sind hochkontagiös, werden also sehr leicht übertragen, und nahezu jeder, der sich in der Nähe eines Erkrankten aufhielt, steckt sich an. Daher auch der Name „Wind“pocken, denn die Infektion erfolgt über die Ausatemluft des Erkrankten, die durch den „Wind“ verbreitet wird.
Bereits zwei Tage vor Auftreten des charakteristischen Ausschlags sind die Varizellen ansteckend. Bevor es eine Impfung gab, waren bis zu einem Alter von 14 Jahren 90 Prozent der Kinder durchseucht. Aus diesem Grund waren sogenannte Windpockenpartys noch relativ häufig, weil man sich dadurch eine „kontrollierte“ Infektion seiner Sprößlinge erhoffte. Wenn man sowieso nicht drum herum kommt, dann wenigstens zu einem Zeitpunkt, den man bestimmen konnte. So dachte man.
Inzwischen ist durch die Impfung (s.u.) die Krankheit keine Bedrohung mehr. Dennoch veranstalten manchmal besondern „naturnah“ geprägte Eltern diese Form von Ansteckungspartys, weil sie dem Nachwuchs damit eine natürliche Immunisierung bieten wollen, die als besser und natürlicher gesehen wird. Jede Kinderkrankheit soll einen „Schub“ in der Persönlichkeitsentwicklung auslösen, aber meine Meinung dazu ist klar: Es wird bewusst in Kauf genommen, dass die Kinder leider und schwere Komplikationen entwickeln können.
Die Windpocken haben einen charakteristischen Verlauf: Nach einer Inkubationszeit von 10-21 Tagen kommt es zu einem kurz anhaltendem Fieber mit Kopf- und Gliederschmerzen. Am Folgetag entwickelt sich der typische, stark juckende Ausschlag (Exanthem). Zuerst sieht man rote Flecken. Aus diesen entwickeln sich Knötchen und aus diesen wiederum die typischen, wasserklar gefüllten Bläschen. Da nicht alle Bläschen gleichzeitig entstehen, findet man Flecken neben Knötchen neben Bläschen. Dieses Durcheinander nennt man „Sternenhimmel“ und es klingt so pittoresk und idyllisch, aber davon sind die Ausschläge leider weit entfernt. Der Sternenhimmel heißt nur so, weil man alle Arten der Effloreszenzen (Hauterscheinungen) parallel findet.
Schön ist nichts daran, denn es juckt höllisch, und Kinder vom Kratzen abzuhalten ist eine Tagesbeschäftigung. Die aufgekratzten Bläschen geben den kontagiösen Inhalt frei, die Hautstellen können sich bakteriell superinfizieren und im schlimmsten Fall eine Sepsis auslösen. Das passiert glücklicherweise selten, dennoch kann eine Antibiotikatherapie der entzündeten Hautstellen nötig sein, lokal oder als Saft/Tablette. Zurück bleiben Narben, die im Gesicht für die Patienten deutliche Spuren der Krankheit hinterlassen.
Therapeutisch kann man nur symptomatisch mit fiebersenkenden Medikamenten und Analgetika behandeln. Nur in Ausnahmefällen, also bei schwerem Verlauf, werden virushemmende Medikamente verabreicht.
Wichtig: Kindern dürfen keine Salicylate (berühmter Vertreter ist das ASS) gegeben werden, da sie in Verbindung mit dem VZV das Risiko für ein Reye-Syndrom erhöht ist. Bei diesem schweren Krankheitsbild erleiden Kinder eine Schädigung des Gehirns und der Leber, die Sterblichkeit wird zwischen 25 und 50 Prozent angegeben. Bei etwa einem Drittel der Kinder bleiben neurologische Störungen bestehen.
Daher: bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr fieberhafte Infekte nie mit ASS therapieren! Paracetamol kann man bei Kindern einsetzen.
Noch eine Krankheit mit malerischem Namen - die Gürtelrose
Die Gürtelrose ist die unschöne Folge einer Windpocken-Erkrankung und tritt bei 20 Prozent der Menschen auf, die mit den Windpocken infiziert waren. Das Varizella-Zoster-Virus bleibt ein Leben lang in den Nervenzellen des Rückenmarks oder der Hirnnerven als DNA-Ring im Nukleoplasma (die Suppe im Zellkern) erhalten und kann reaktiviert werden. Das passiert bei Immunschwäche oder zum Beispiel auch bei Stress.
Weil im Alter das Immunsystem schwächer wird, tritt die Gürtelrose vornehmlich bei Älteren ab dem 50. Lebensjahr auf, etwa 400000 Menschen erkranken In Deutschland pro Jahr an ihr.
Im Alter von 80 Jahren haben 50 Prozent der Menschen einmal im Leben eine Gürtelrose erlebt. Aber auch junge Leute haben immer wieder damit zu kämpfen und in seltenen Fällen auch mal Kinder, insbesondere bei bestehender Grunderkrankung.
Eine Gürtelrose ist also nur möglich, wenn man die Windpocken durchgemacht hat. Eine Gürtelrose kann niemals durch eine Windpockenerkrankung eines anderen Menschen ausgelöst werden. Und eine Gürtelrose ist auch nicht wie die Windpocken durch Tröpfcheninfektion übertragbar, sondern nur durch eine Schmierinfektion der geplatzten Bläschen.
Wenn sich also ein Mensch, der nicht immun gegen die Windpocken ist, an einem Herpes Zoster ansteckt, wird er keine Gürtelrose, sondern die Windpocken bekommen.
Der Herpes Zoster sieht nun aber etwas anders aus, als die Windpocken: die wasserklaren Bläschen sind auch hier zu sehen, die Haut ist gerötet, aber der Ausschlag ist auf ein sogenanntes Dermatom begrenzt. Ein Dermatom ist das Versorgungsgebiet eines Nerven auf der Haut und in über 50 Prozent tritt der Zoster im Bereich der Interkostalnerven am Brustkorb auf.
Die Haut kann auch vor Auftreten des Exanthems schmerzen und sollte bei klassischer Lokalisation, aber auch bei kritischer Lokalisation im Bereich der Augen oder der Ohren an einen beginnenden Herpes Zoster denken lassen. Zumal die Gürtelrose auch ohne Ausschlag auftreten kann. Dies denn man dann Zoster sine herpete - Zoster ohne Herpes.
Gefährlich kann es werden, wenn das Versorgungsgebiet des N. trigeminus (1. Ast) im Gesicht betroffen ist, denn dann kommt es zu einem Zoster Ophtalmicus, der auch das Auge befallen und dadurch eine Blindheit als Folge haben kann.
Auch im Bereich des Ohres sind Komplikationen in Form von Taubheit oder eine Fazialiparese (Lähmung der Gesichtsnerven) möglich. Die Fazialisparese bildet sich in vielen Fällen nach virustatischer (virushemmender) Therapie zurück.
Weitet sich ein Zoster auf mehrere Dermatome oder generalisiert über den gesamten Körper aus, muss dringend eine Tumorsuche oder die Suche nach anderen immunschwächenden Krankheiten (z.B. HIV) stattfinden.
Ein Herpes Zoster löst relativ häufig eine Post-Zoster-Neuralgie (PZN) aus, die zu brennenden und starken Nervenschmerzen führt und manchmal lebenslang bestehen bleibt.
Die Bläschen heilen teilweise unter Narbenbildung und Pigmentstörung aus, im Gegensatz zu den Effloreszenzen bei Windpocken, die - sofern nicht gekratzt wird - ohne Narbenbildung verheilen.
Behandelt wird die Gürtelrose mit Schmerzmitteln und virustatischen Medikamenten, wie z.B. Aciclovir, Valaciclovir oder Brivudin, wobei bei Letzterem zu beachten ist, dass es nicht bei Kindern, bei Immunsuppression oder nach Gabe von bestimmten Chemotherapeutika (5-FU) angewendet werden darf.
Die berühmte Zinkschüttelmixtur zur Anwendung auf der Haut wird nicht mehr empfohlen. Sie lindert zwar den Juckreiz, aber erhöht das Risiko einer bakteriellen Infektion des Ausschlags.
Die Schmerztherapie muss früh und recht hoch dosiert werden, um eine Post-Zoster-Neuralgie zu vermeiden. Daher ist gerade bei älteren Patienten darauf zu achten, dass bei Paracetamol schnell die lebertoxische Grenze erreicht wird und man daher besser auf Metamizol zurückgreift. Bei starken Schmerzen werden Opiate oder manchmal auch, insbesondere bei der PZN, Antikonvulsiva oder Antidepressiva verordnet.
Windpocken und Gürtelrose in der Schwangerschaft
Drei bis vier Prozent der Schwangeren sind nicht immun gegen die Varizellen. Eine Windpocken-Erkrankung in der Schwangerschaft ist gefährlich und kann, insbesondere vor der 21.Woche, zu einem Fetalen Varizellensyndrom mit Hautläsionen, neurologischen Defekten, Augenerkrankungen und Skelettanomalien führen. Auch Fehlgeburten sind möglich.
Kurz vor der Entbindung ist die Krankheit sogar lebensbedrohlich für das Neugeborene und jedes fünfte Kind stirbt an den Folgen. Schwangere im dritten Trimenon, also im letzten Abschnitt der Schwangerschaft, haben ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung einer Lungenentzündung durch das Varizella-Zoster-Virus.
Hatte eine Schwangere Kontakt mit einer an Windpocken erkrankten Person, ist das Risiko einer Infektion sehr hoch. Es wird daher die Behandlung mit Immunglobulinen empfohlen.
Erkrankt eine Schwangere an Windpocken, wird in jedem Stadium die Therapie mit dem Virustatikum Aciclovir empfohlen.
Eine Gürtelrose in der Schwangerschaft ist zwar schmerzhaft, geht aber nicht auf das Ungeborene über. Das RKI schreibt: "Von einem Herpes zoster der Mutter geht keine Gefahr für das ungeborene Kind aus."
Impfung gegen Windpocken und Gürtelrose
Für Kinder gibt es zwei ab dem ersten Lebensjahr zugelassene Impfungen gegen die Varizellen und diese werden von der STIKO als Standardimpfung empfohlen. Normalerweise werden sie geneinsam mit der MMR-Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln verabreicht.
Gegen die Gürtelrose gibt es ebenfalls zwei Wirkstoffe, von der STIKO ist jedoch nur der Totimpfstoff ab dem 60. Lebensjahr empfohlen. Bei gesundheitlicher Gefährdung können jedoch auch Personen ab dem 50. Lebensjahr geimpft werden.
Geimpft wird zweimal im Abstand von 2-6 Monaten. Bei einem kürzeren Abstand als zwei Monate kann kein ausreichender Schutz aufgebaut werden. Bei einem längeren Abstand als sechs Monate ist eine verkürzte Dauer des Immunschutzes möglich.
Fragen zu den Impfungen
An dieser Stelle möchte ich noch einige Fragen beantworten, die gestellt wurden.
Kann ich trotz Windpocken-Erkrankung gegen Gürtelrose geimpft werden?
Ja, gerade dann sollte man geimpft werden. Denn die Impfung soll die T-Zell-vermittelte Immunabwehr steigern und eine Reaktivierung der in den Zellen auf ihren Einsatz wartenden Viren (bzw. ihrer DNA) verhindern.
Ist trotz Windpockenimpfung eine Impfung gegen die Gürtelrose sinnvoll?
Ja, auch dann. Es zeigt sich zwar, dass nach Impfung gegen Windpocken eine Zoster-Erkrankung seltener und leichter auftritt. Aber auch das abgeschwächte „Impfvirus“ kann sich wie das Wildtyp-Virus in den Zellen einnisten und später im Leben eine Gürtelrose auslösen.
Dann ist es doch nicht sinnvoll, mein Kind gegen Windpocken zu impfen?
Doch, weil Windpocken sehr belastend sein können und die Impfung die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Herpes Zoster verringert.
Können sich auch Patienten mit Grunderkrankungen (Rheuma, Lupus, HIV u.a.) gegen Gürtelrose impfen lassen?
Ja, gerade immunsupprimierte Patienten haben ein erhöhtes Risiko für eine Gürtelrose und eine Post-Zoster-Neuraligie. Die Wirksamkeit und Sicherheit des Totimpfstoffes wurde in Studien belegt. Lebendimpfstoffe dürfen nicht gegeben werden.
Ich hatte bereits einen Herpes zoster, brauche ich dann eine Impfung?
Ja, eine durchgemachte Gürtelrose schützt nicht vor einer erneuten Erkrankung.
Und wenn ich nun nicht weiß, ob ich die Windpocken hatte?
Aktuell geht man davon aus, dass nahezu alle Erwachsenen in Deutschland über 50 Jahre die Windpocken durchgemacht haben. Daher ist ein Testen darauf nicht notwendig. Nur wenn jemand in naher Zukunft eine Organtransplantation erhalten soll, impft man nach Serostatus. Das heißt, wenn ein Patient keine Windpocken hatte, dann erhält er den Windpocken-Impfstoff. Kann man eine durchgemachte Windpockenerkrankung nachweisen, dann verimpft man den Zoster-Impfstoff.
Impfen schützt
Mein Fazit: Das Varizella-Zoster-Virus ist bei Weitem nicht harmlos. Mir wurde von schweren Verläufen berichtet, von neurologischen Spätfolgen nach Windpocken-Erkrankung und von lebenslangen Schmerzsyndromen. Ein Leser schrieb: "Bei mir sind es zwar nur die Narben der Windpocken, die zurückblieben. Aber die machen mich ja auch nicht hübscher."
Impfen schützt.
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Bild: Wikimedia, "Herpes Zoster" von Fisle / CC BY-SA 3.0
Quellen: alle abgerufen am 30.05.2020
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Varizellen/FAQ09.html
https://www.aerzteblatt.de/archiv/208216/Herpes-zoster-Wer-wie-geimpft-werden-sollte
https://de.wikipedia.org/wiki/Herpes_Zoster
https://www.amboss.com/de/wissen/Herpes_zoster#
https://www.labor-karlsruhe.de/fileadmin/user_upload/pdf/Patientenbroschueren/Patienteninformation_Windpocken_160121_HE.pdf
https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Schwangere-brauchen-Schutz-gegen-Windpocken-sonst-sind-schwere-Komplikationen-moeglich-322838.html
https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Varizellen.html