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Shake your hands - über die Praxis des Händeschüttelns

Als ich im Juni 2019 anfing, mein Buch zu schreiben, war Corona noch kein Thema, aber ich schrieb „damals“ (die Prä-Corona-Zeit scheint schon Jahre her zu sein) bereits über die weit verbreitete Praxis des Händeschüttelns als Begrüßungsritual: „Das Händeschütteln mussten wir leider abschaffen. Denn auch wenn ich mir nach jedem Patienten die Hände desinfiziere, die Sicherheit geht vor.“

 

Als dann im März 2020 die Korrekturen für mein Manuskript anstanden, konnte ich noch schnell einfügen: "Nicht erst seit der Corona-Pandemie haben wir das Händeschütteln abgeschafft."

 

Denn auch, wenn inzwischen Konsens besteht, dass das Coronavirus vor allem über Tröpfchen und Aerosole übertragen wird, ist das Weiterreichen von Viren und Bakterien über die Hände ein Risikofaktor für viele Infektionen: Influenza, Magen-Darm- und Erkältungsviren. Schleim, Schlonz, Bakterien und Viren kleben an unseren Händen.

 

Früher... 

 

Als ich anfing zu studieren, war es allerdings noch Usus, seine Patienten mit Handschlag zu begrüßen. Ich gebe zu, dass ich es auch gerne gemacht habe. Man bekam durch den Handshake recht wichtige Informationen über einen Patienten:

Ist der Händedruck stark oder schwach, sind die Hände kalt oder warm, trocken oder schwitzig. Der Händedruck schaffte eine Verbindung zwischen den Menschen, stellte den Kontakt her und war auch nonverbale Kommunikation. Den Handshake auszuschlagen, war wie ein Schlag ins Gesicht und konnte auch ganz klar suggerieren: „Du bist es nicht wert, dass ich dir die Hand gebe.“

Er konnte aber auch zum Machtkampf werden: Wer ist stärker? So manch amerikanischer Politiker wollte auch mit der Geste sein Revier markieren. 

 

Und es konnte zur Infektionsquelle werden.

 

Eine Situation habe ich in der Praxis mehrfach erlebt: 

Ein Patient kam zur Tür herein und streckte mir die Hand zur Begrüßung entgegen. Aus Höflichkeit und Respekt schüttelte ich diese, bat den Patienten, Platz zu nehmen und fragte dann nach dem Grund des Besuchs.

 

„Ich war die ganze Nacht auf’m Klo! Durchfall wie Wasser!“, entfuhr es meinem Patienten. „Und gebrochen hab ich, ich sag’s Ihnen, zehn Mal bestimmt!“ 

 

In diesem Moment spürte ich, wie meine Hand von innen abfaulte und nur noch wie ein Klumpen totes Fleisch an mir hing. Ich rettete die Situation, indem ich den Patienten bat, sich für die Untersuchung auf die Liege zu legen und eilte zum Desinfektionsmittelspender.

 

Dieser ist übrigens mein bester Freund, nicht erst seit der Pandemie. Nach jedem Patienten geht der Griff automatisch zu dem Spender, der neben der Tür hängt. Und ich liebe den Geruch des bekannten blauen Desinfektionsmittels, dessen Namen ich hier nicht nennen kann. 

 

Vielleicht würde ich es sogar als Parfum tragen. Eau de Steri**ium.

 

Während meiner Pathologiezeit schmierte ich es mir sogar unter die Nase, wenn ich die Därme von Toten aufschnitt, denn Verwesungsgeruch zusammen mit den Gerüchen von Darminhalt ist eine wirklich gemeine Kombination, ehrlich. 

 

... heute... 

 

Inzwischen gibt eigentlich niemand mehr die Hand. Politiker, die gerne minutenlang Händchen hielten, um ihre Verbundenheit zu demonstrieren, stehen nun in trauter Einigkeit mit gebührend Abstand nebeneinander. 

 

Freunde begrüßen sich seltener mit Küsschen rechts und Küsschen links, und körperliche Nähe, auch Umarmungen, finden nur noch im engsten Freundeskreis statt. 

 

Überhaupt hätte sich eigentlich niemand vorstellen können, dass sich alles so verändern würde. Inzwischen ist diese so genannte „neue Normalität“ offenbar eingetreten und an viele Dinge hat man sich bereits gewöhnt. Insbesondere an die AHA-Regeln. Abstand halten, Hygienemaßnahmen einhalten, Alltagsmasken verwenden.

 

Und ich muss zugeben: Ich mag die Regeln. Das ist keine Obrigkeitshörigkeit, sondern banales Wertschätzen von Hygienemaßnahmen. Ich mag es, dass ich endlich eine Maske bei der Arbeit tragen kann und nicht mehr angehustet werde. Ich mag es, dass fremde Menschen mir im Supermarkt nicht mehr auf die Pelle rücken, bis ich den feuchten Atem im Nacken spüren kann. Und ich vermisse das Händeschütteln nicht.  Geht es Euch auch so, dass es Euch ganz extrem auffällt, wenn sich in „alten“ Filmen zehn Menschen die Hände reichen und Küsschen geben und man sich denkt: „Bäääh“?

 

In der Praxis hatten wir, wie oben bereits erwähnt, schon lange abgeschafft, einem Patienten zur Begrüßung die Hand zu geben.

Man gewöhnt sich das im Laufe seiner Medizinerkarriere in der Regel sowieso vollständig ab, denn man sieht zu häufig, in welchen Regionen, wo das Licht selten hinkommt, die Hände sich unbewusst befanden,  bevor sie dir dann entgegen gestreckt werden: 

 

In der Nase, beim gedankenlosen Popeln. Zwischen den Zähnen, weil dort ein Leinsamen vom Frühstücksmüsli hängt. In der Jackentasche, wo das mehrfach benutzte und noch feuchte Taschentuch sein zerknäultes Dasein fristet. In der Handtasche oder dem alten Rucksack, auf deren Böden die hektisch hineingestopfte Tüte mit dem belegten Brötchen vom Wochenanfang oder die verschimmelten Brotreste des Wanderausflugs von 2012 lagern. Für schlechte Zeiten, man weiß ja nie.

Und zu guter Letzt waschen sich viele Menschen nach dem Toilettengang nicht die Hände, das ist leider so.

  

... in Zukunft... 

 

Vielleicht bin ich auch etwas zwanghaft mit meinen Hygienemaßnahmen, aber diese AHA-Regeln dürfen meiner Ansicht nach gerne bleiben, wenn diese Pandemie hoffentlich irgendwann mal ein Ende hat. 

 

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Gender: Auch, wenn ich zwecks Lesefluss in der maskulinen Form schreibe, meine ich natürlich immer alle Geschlechter. 

Bild: Cloud05Alleva, Pixabay