Ein junger Patient, den ich schon etwas länger kenne, betritt mein Sprechzimmer. Er ist in einem Handwerksberuf tätig und von großem, kräftigem Körperbau. Typ
Schrankwand, Eiche rustikal. Einen wie ihn haut so schnell nichts aus den Latschen.
Aber heute wirkt er in sich zusammengesunken, nervös, müde. Er setzt sich hin und berichtet: Vom Stress auf der Arbeit und dass er nicht schlafen könne, er sei dauerhaft nervös und angespannt. Er bräuchte einfach mal eine Pause und müsste bitte krank geschrieben werden. Wir reden noch ein paar Minuten, in denen er mir seine beruflichen Probleme schildert und ich ziehe ihn zwei Wochen aus dem Verkehr.
Einige Zeit sehe ich ihn nicht mehr. Dann, etwa sechs Wochen später, ist er wieder da. Aus der Schrankwand in Eiche rustikal wurde ein Wohnzimmerschränkchen, eines von der filigranen, modernen Sorte, auf die man eine handgeklöppeltes Spitzendeckchen legt.
„Huch, was ist passiert?!“, rutscht es mir heraus, denn er hat mindestens 15 Kilogramm abgenommen.
„Ach, die Arbeit“, sagt er und fährt sich mit der Hand über das Gesicht. „Ich habe es ja echt versucht, aber es ist so stressig. Ich bin nur noch nervös.“
„Sie haben aber sehr abgenommen. Wieviel Gewicht haben Sie verloren?“, frage ich.
„Ich wiege mich nicht. Und ich musste ja sowieso ein bisschen abnehmen, das macht nichts“, antwortet er.
Aber die Gewichtsabnahme ist zu rapide, zu viel in zu kurzer Zeit - ein sogenanntes „red flag“.
„Wir nehmen mal Blut ab“, sage ich zu ihm und messe seinen Blutdruck. Normal. Aber sein Puls ist schnell, 96 Schläge pro Minute. Per Definition noch keine sogenannte Tachykardie - wie man einen schnellen Herzschlag ab 100 Schlägen pro Minute nennt - aber nahe dran.
„Ich sage ja, ich bin ständig nervös“, entgegnet er und verabschiedet sich ins Labor und zum EKG.
Einen Tag später haben wir die Ergebnisse vorliegen. Sein Blutbild, die Organwerte für die Leber und die Nieren, und auch die Entzündungswerte sind in Ordnung. Aber seine Schilddrüsenwerte sind komplett aus dem Lot geraten, er hat eine deutliche Überfunktion. In Zusammenschau mit seinen Symptomen kann man die Diagnose eigentlich schon stellen, aber um sie in Stein zu meißeln, lasse ich im Labor noch die sogenannten TRAK-Antikörper bestimmen. Und diese sind stark erhöht. Mein Patient hat einen Morbus Basedow.
Allgemeines zur Krankheit
Den Morbus Basedow nennt man auch Immunthyreopathie und im englischsprachigen Raum Graves' disease. Es handelt sich wie die Hashimoto-Thyreoiditis auch um eine Autoimmunerkrankung, bei der man die Auslöser nicht wirklich kennt. Es liegt eine genetische Komponente vor, außerdem werden Stress, Virusinfekte oder Rauchen als Auslöser diskutiert.
Der Körper bildet Antikörper gegen den TSH-Rezeptor, sogenannte TRAK: TSH-Rezeptor-Antikörper. Wer Teil 1 gelesen hat weiß, dass das TSH (Thyroidea stimulierende Hormon) an den Follikelepithelien (also den Schilddrüsenzellen) ansetzt und dort die Produktion der Hormone T3 und T4 anregt.
Und genau das macht der selbstproduzierte Antikörper auch. Er gibt der Schilddrüse zu verstehen, mehr Hormon zu produzieren.
Diese TRAK sind typisch für die Erkrankung, aber auch TPO-Antikörper, die normalerweise eher bei der Hashimoto-Thyreoiditis auftreten, sowie Antikörper gegen Thyreoglobulin werden gefunden.
Symptome: Herzrasen, Struma, Exophtalmus
Die TRAK sind schuld an all den Folgen, die eine Überfunktion der Schilddrüse mit sich bringt: Reizbarkeit, Nervosität, Aggressivität, Herzrasen, Gewichtsverlust durch Anregung des Stoffwechsels, Durchfälle, Haarausfall, Schwäche, Schwitzen, und auch zeitweise Unfruchtbarkeit.
Die Schilddrüse vergrößert sich und bildet einen Kropf (Struma), der sich durch Kloß- und Engegefühle bis hin zur Luftnot äußern kann.
Außerdem typisch ist ein sogenannter Exophtalmus, bei dem die Augen aus den Augenhöhlen hervortreten, weil sich das Binde- und Fettgewebe hinter den Augäpfeln verdickt und sie verdrängen. Auch können die Augenmuskeln und der Sehnerv betroffen sein. Die Lider lassen sich nicht mehr richtig schließen und es kommt zu Lichtempfindlichkeit und tränenden Augen. Doppelbilder und Gesichtsfeldeinschränkungen sind ebenfalls möglich. Die Ausprägung dieser „Endokrinen Orbitopathie“ kann ganz unterschiedlich stark sein.
Ich erinnere mich an eine ehemalige Kollegin aus meiner Studentenkneipenservicezeit (Deutsch ist eine fantastische Sprache, man kann einfach lauter Nomen aneinanderreihen), die plötzlich in kürzester Zeit 30 Kilogramm Gewicht verlor und die typischen Glubschaugen bekam.
Andere wiederum, wie mein beschriebener Patient, berichten nur über Lichtempfindlichkeit oder Tränenlaufen. Meinem Patienten sah man es nicht an den Augen an.
Die Kombination der Symptome Tachykardie (schneller Herzschlag), Struma und Exophtalmus nennt man Merseburg-Trias und ist typisch für den Morbus Basedow. Aber wie immer in der Medizin: Alles kann, nichts muss. Die Ausprägung der Symptome variiert von Mensch zu Mensch.
Therapie: Medikamente, OP oder Bestrahlung
Die Therapie besteht zunächst einmal in einer Behandlung der Hyperthyreose, also der Schilddrüsenüberfunktion. Prinzipiell gibt es die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung oder die Entfernung des Schilddrüsengewebes durch Operation oder durch eine Radiojodtherapie.
Meist beginnt man mit einer medikamentösen Behandlung mit Thyreostatika. Das sind „Schilddrüsenblocker“, die den Einbau von Jod und die Umwandlung in die Hormone blockieren. Die noch zirkulierenden freien Hormone werden nach und nach abgebaut, so dass es eine Zeit lang dauern kann, bis die Medikamente ihre volle Wirkung entfalten.
Manchmal kann sich der Morbus Basedow von selbst limitieren, dann stoppt die Erkrankung von alleine nach einer mehrmonatigen Therapie. Man kontrolliert also regelmäßig die Schilddrüsenwerte und reduziert die Thyreortatika nach und nach, wenn Euthyreose (normale Werte) erreicht sind. In 30-50 Prozent der Fälle ist diese rein konservative Maßnahme ausreichend, aber häufig kommt es auch zu einem Rückfall der Erkrankung. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist umso höher, je größer die Struma ist. Außerdem ist er bei Rauchern, bei sehr jungen Patienten und bei persistierend hohen TRAK-Werten wahrscheinlicher.
Dann muss man abwägen, ob eine Radiojodtherapie oder eine Operation erfolgen soll. In Teilen Nordamerikas und Asiens wird eine frühzeitige Ablative („entfernende“) Therapie empfohlen, da die Thyreostatika erhebliche Nebenwirkungen haben können. Sie sind plazentagängig und teratogen, können Allergien auslösen und Blutbildveränderungen hervorrufen. Außerdem haben sie Einfluss auf die Leber.
Nun bin ich weder Chirurgin noch Nuklearmedizinerin und möchte den Artikel nicht zu ausufern lassen. Es sei aber gesagt, dass man eine Operation eher bevorzugt bei großer Struma, geplanter Schwangerschaft oder zusätzlichen Knoten in der Schilddrüse durchführt. Außerdem tritt der heilende Effekt schneller ein, was bei ausgeprägten Augenveränderungen hilfreich ist.
Die Radiojodtherapie dauert etwas länger, bis sie wirkt und man strahlt eine Weile vor sich hin, weswegen sie bei einer geplanten Schwangerschaft nicht durchgeführt werden sollte. Vorteile der Radiojodthetrapie sind das fehlende Operationsrisiko, das auch die Gefahr einer Verletzung oder Entfernung der Nebenschilddrüsen miteinschließt.
Beiden Therapien gemein ist die nachfolgende Hypothyreose. Denn: wo kein Schilddrüsengewebe mehr vorhanden ist, egal ob durch OP oder durch Radiojod zerstört, da wird auch nichts mehr produziert. Die Patienten sind also Zeit ihres Lebens auf die Hormonsubsitution angewiesen.
Wenn es zu einer Augenbeteiligung kam, wird diese mit Kortison behandelt. Ausgeprägte Fälle müssen ggf. sogar operiert werden, weitere Optionen bestehen in Botox-Injektionen und lokalen Bestrahlungen. Ein neuer Antikörper mit dem schönen Namen Teprotumumab hat sich in Studien als vielversprechendes Konzept bei der Behandlung der Endokrinen Orbitopathie gezeigt.
"Alternativmedizin" - Ein Konzept?
Nun gibt es bei Erkrankungen der Schilddrüse gerne viele alternative Heilversprechen. Was las ich da eben? Man solle sich seine Familiengeschichte aufstellen lassen, um versteckte, innere Konflikte zu lösen und dadurch das Immunsystem zu beeinflussen. Nun… Da die Psyche womöglich einen Einfluss bei der Erkrankung hat, kann man das gerne tun. Eine effektive Therapie des Morbus Basedow darf aber nicht unterbleiben.
Denn ganz ungefährlich ist eine ausgeprägte Überfunktion nicht. Bei starker Jodzufuhr von außen, zum Beispiel im Rahmen von Kontrastmittelgaben oder durch Amiodaron, ein Medikament gegen Herzrhythmussstörungen, kann eine Thyreotoxische Krise ausgelöst werden, die lebensbedrohlich sein kann.
Eine gesunde Ernährung hat wie immer einen guten Einfluss auf unsere Gesundheit, ferner sollten Alkohol, Nikotin und anregende Medikamente vermieden werden. Wichtig ist auch der Verzicht auf jodreiche Nahrungsmittel in der Zeit der Erkrankung.
Mein Patient unterzog sich einer Operation, wonach es ihm schnell besser ging.
Wichtig ist bei Schilddrüsenerkrankungen immer, dass sie sich hinter vermeintlich psychischen Störungen versteckten können und man nicht wochenlang den Job, das Leben oder die Gesellschaft im Allgemeinen als Grund für Unruhe, Herzrasen oder depressive Verstimmung annehmen sollte. Bei jeder psychischen Erkrankung sollte die Schilddrüse mit untersucht werden.
Auf zu Teil 3...
Nun ist der Artikel wieder fünf Seiten lang geworden, so dass ich die Schilddrüsenknoten in den nächsten Teil packen werden. Und zu guter letzt hoffe ich, dass sich
niemand von der Fischgrafik angegriffen fühlt. Aber lizenzfreie Bilder von Schilddrüsenerkrankungen zu bekommen ist eine echte Herausforderung.
_____________________
Quellen: https://www.deutsches-schilddruesenzentrum.de/wissenswertes/schilddruesenerkrankungen/morbus-basedow/fachartikel-diagnostik-und-therapie-des-m-basedow/
https://de.wikipedia.org/wiki/Endokrine_Orbitopathie
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/74553/Morbus-Basedow-Teprotumumab-vermindert-Exophthalmus
https://arznei-news.de/teprotumumab/
Bild: Pixabay, creozavr