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Mit dem Darmverschluss zum Hausarzt

Es ist schon ein paar Monate her, da ging ein Patient von mir - nennen wir ihn doch einfach mal Herrn Meier (ich bin manchmal sehr kreativ) am Feiertag in die Notaufnahme einer großen Klinik, weil er starke Bauchschmerzen hatte. Er wurde dort zu seinen Beschwerden befragt, eine körperliche Untersuchung erfolgte nicht. 

 

Dann stand die Diagnose fest: Magengeschwür. Er möge sich bitte nach dem Feiertag bei seinem Hausarzt vorstellen.

 

Vom Magengeschwür... 

 

Das tat er dann auch. Seine Bauchschmerzen waren nochmals schlimmer geworden und Erbrechen hatte sich hinzugesellt. Die Diagnose Magengeschwür würde in der Tat passen. So wie viele andere Diagnosen aus dem Bauchraum aber auch.

 

Ich befragte Herrn Meier also selbst noch einmal zu seinen Symptomen: Fieber hatte er nicht, keine Durchfälle, aber übel sei es ihm. Er könne kaum essen, wobei das Essen an sich nicht schmerzen würde. Kein Sodbrennen, keine Medikamenteneinnahme, etwas beruflichen Stress.

 

Ich ließ ihn sich also auf meine Untersuchungspritsche legen und tastete den Bauch ab. 

 

„Ich hatte schon so viele Magengeschwüre, Frau Doktor. Das hab ich denen in der Klinik auch gesagt. Vielleicht hätten die mal eine Magenspiegelung machen sollen.“ 

 

Ich höre zu und höre ab. Der Bauch gluckert ganz leise, aber er tut es. Gut.

Aber er ist hart. Zu hart. 

 

„Lassen Sie uns uns mal mit dem Ultraschall drauf gucken“, sage ich Herrn Meier, denn prinzipiell stelle ich alle Diagnosen immer infrage. Das hat nichts mit Arroganz zu tun, natürlich kann ich viele Erkrankungen nicht selbst diagnostizieren. Wenn ich Patienten beispielsweise zum Neurologen, Urologen oder zum Kardiologen überweise, werden Diagnosen gestellt, die ich in der Hausarztpraxis meist nicht stellen kann. Aber alles, was ich überprüfen kann, überprüfe ich auch. So wie bei diesem Patienten.

 

Es wäre ein Leichtes, die Diagnose aus dem Krankenhaus anzunehmen: „Eja, Magengeschwür. Tut halt weh. Hier ist Pantoprazol und die Überweisung zur Magenspiegelung.“

Das ist aber nicht meine Art zu arbeiten. 

 

Natürlich ist es möglich, dass mein Patient ein Magengeschwür hat. Aber ohne mir ein genaues Bild zu machen, kann ich nicht ausschließen, dass er nicht eventuell an Gallensteinen oder einer Blinddarmentzündung leidet. Manchmal mache ich mir damit unnötig Arbeit und brauche zu viel Zeit, nur um die vorab gestellte Diagnose zu bestätigen. Manchmal kommen aber auch Erkrankungen zum Vorschein, die vorher nicht aufgefallen waren. In beiden Fällen habe ich jedenfalls das Gefühl, nichts übersehen zu haben und kann beruhigter schlafen. 

 

... zur Appendizitis

 

Als wir im Ultraschallzimmer sind, untersuche ich ihn noch einmal ganz genau. Die Darmgeräusche sind vorhanden, aber spärlich. Ich drücke in den Oberbauch: leichte Schmerzen, etwas unangenehm, ja. Aber eigentlich nicht so schlimm. Bei einem Magengeschwür hätte er hier deutlich mehr "ge-autscht". Ich rutsche mit den Fingern etwas nach rechts an die Stelle, an der die Gallenblase und die Leber zu finden sind. Ich lasse ihn tief ein– und wieder ausatmen und fühle beim Ausatmen, wie mir der Leberrand an den Fingern entgegenkommt. Da ist er, glatt fühlt er sich an, und das Tasten bereitet meinem Patienten keine Schmerzen. Die Gallenblase als Problem hake ich gedanklich schon mal ab. Aber gut, dass ich gleich noch mal genau schauen kann. Ich liebe den Ultraschall. 

 

Nun ist der rechte Unterbauch dran. Vorsichtig drücke ich in den Bereich zwischen Beckenschaufel und Bauchnabel. Diese Stelle nennt man McBurney-Punkt und ein Schmerz in diesem Bereich ist typisch für eine Blinddarmentzündung. Prompt spannt sich Herr Meiers Bauchdecke an und er verzieht das Gesicht. Ich lasse bewusst ruckartig los und er zuckt schmerzerfüllt zusammen. Gemein, ich weiß. Aber der Test war notwendig, denn damit ist ein weiteres Zeichen positiv, das für ein akute Blinddarmentzündung steht: der Loslasschmerz. Meistens tut es beim Reindrücken schon weh, beim Loslassen aber umso mehr. Die Patienten kleben förmlich an der Decke vor Schmerzen und man muss sie liebevoll wieder runterkratzen. 

 

Nun wird es also Zeit für den Ultraschall. Und ich sehe etwas Typisches für die Blinddarmentzündung: nämlich nichts. 

 

Ich als Wald- und Wiesenhausärztin kann eine Blinddarmentzündung sonographisch feststellen, wenn ich eine Kokarde (Ringe) oder ein verklumptes Etwas sehe, das da nicht hingehört. Oder wenn ich freie Flüssigkeit entdecke. Oft liegt der Wurmfortsatz aber umgeschlagen hinter dem Darm versteckt oder wird von Luft überlagert, so dass man eine Entzündung nicht wirklich ausmachen kann. Die klinische Symptomatik beim Untersuchen essentiell. 

 

Allerdings ist der Ultraschall wichtig, um andere Dinge auszuschließen: mein Patient hat keine Gallensteine, und Leber und Nieren sehen normal aus. Ein Magengeschwür könnte ich ebenfalls nicht im Ultraschall erkennen, dafür braucht es eine Magenspiegelung. 

 

Nun ist es aber bei der Blinddarmentzündung typischerweise so, dass sie oft im Oberbauch mit Schmerzen beginnt und diese dann in den rechten Unterbauch wandern.

 

Retour in die Klinik 

 

Ich weise Herrn Meier also mit dem Verdacht auf eine akute Blinddarmentzündung in genau das Krankenhaus ein, von dem er gekommen ist. Einige Tage später ist er wieder bei mir. Und der Verdacht hatte sich bestätigt: der Blinddarm war bereits perforiert.

 

Nun war er am Vortag erst entlassen worden, hat nun aber wieder Bauchschmerzen, außerdem erbricht Herr Meier wieder. Und wie beim ersten Mal auch wiederhole ich die gesamte Prozedur: Anamnese, klinische Untersuchung, Ultraschall.

 

Der Bauch ist massiv gebläht und druckschmerzhaft. Im Gegensatz zum letzten Mal höre ich allerdings keine Darmgeräusche. Das ist schlecht und ein absolutes Warnsignal.

 

Der Ultraschall offenbart schließlich, was ich vermutete: die Darmschlingen sind mit Flüssigkeit gefüllt, massiv aufgetrieben und leuchten mir schwarz entgegen. Einen gesunden Darm kann man im Ultraschall fast nicht darstellen. Manchmal sieht man starke Verstopfungen (Koprostase) oder Blähungen. Den kranken Darm kann man hingegen gut erkennen. Dann sieht man geschwollene Darmwände, Flüssigkeit in den Darmschlingen, fehlende Peristaltik oder sogar freie Flüssigkeit, wenn die Darmwand perforiert ist. 

 

Und nochmal Retour 

 

Mein Patient geht postwendend wieder zurück in die Klinik mit der Diagnose eines so genannten Paralytischen Ileus. So nennt man es, wenn der Darm seinen Dienst verweigert und still steht. Es gibt Darmverschlüsse, die mechanische Ursachen haben, zum Beispiel Verwachsungen, Tumoren, Kotsteine, Fremdkörper, eingeklemmte Hernien und andere.

 

Ein Paralytischer Ileus kommt häufiger nach Blinddarm- und Bauchspeicheldrüsenentzündungen vor, nach Operationen am Darm oder bei gefäßbedingten Problemen (Thrombosen, Ischämien). 

 

Meinem Patienten konnte glücklicherweise geholfen werden und niemand konnte etwas dafür, dass er diesen komplizierten Verlauf hatte. 

 

Traue keiner Diagnose... 

 

Aber dennoch folge ich einer Prämisse: Traue keiner Diagnose, die du nicht selbst gestellt hast. Und diese muss man auch immer wieder mal hinterfragen.

 

Das funktioniert, wie oben bereits erwähnt, natürlich nicht immer. Für manche Diagnosen reicht mein Fachwissen einfach nicht aus und die Patienten müssen zum Spezialisten gehen. Aber grundsätzlich sollte man immer offen dafür sein, Diagnosen zu revidieren. Am allermeisten seine eigenen. Denn wer sagt, dass man immer richtig liegt? Manchmal verändern sich auch die Gegebenheiten, so wie bei meinem Patienten mit den Bauchschmerzen. Als er sich das erste Mal im Krankenhaus vorstellte, hatte er wahrscheinlich gar keine Schmerzen im rechten Unterbauch, so dass sie ihn an den Hausarzt, in dem Fall an mich, verwiesen. 

 

Aber glücklicherweise können wir Hausärzte schließlich fast alles. Immer.

Und wir bleiben dabei bescheiden.

Immer. 

 

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Anonymität: Die Fallgeschichte ist echt, die Person dahinter aus Gründen der Anonymität  konstruiert. 

Gender: Aus Gründen des Leseflusses habe ich in der maskulinen Form geschrieben, aber möchte natürlich alle Geschlechter ansprechen.

Bild: Pixabay, derneuemann