Es ist schon länger her, da kam ein junger Patient zu mir in die Sprechstunde und klagte über unerträglichen Juckreiz.
„Ich dreh durch, so sehr juckt das!“, sagte er und schälte sich aus seinem schicken Hemd. „Ich hatte ein Vorstellungsgespräch“, grinste er beinahe entschuldigend, weil er so förmlich gekleidet war. Dann zeigte er mir an seinem inneren Oberarm einen „Ausschlag“. Dieser war etwa 5 x 2 cm groß und bestand aus vielen kleinen, dunkelroten Pünktchen. Die Haut drumherum zeigte keine farblichen Veränderungen, keine Schwellung und auch keine Schuppen.
Der Ausschlag sah für mich eher nach punktförmigen Einblutungen aus. Petechien nennt man diese Punkte, die in der Regel aber nicht jucken. Sie können auf Druck entstehen, zum Beispiel an den Schultern beim Tragen einer schweren Tasche. Auch bei Bagatelltraumen, wenn man sich irgendwo mal gestoßen hat, können diese Petechien zu sehen sein. Starkes Husten lässt kleine Gefäße im Gesicht platzen, das starke Pressen unter der Geburt ebenfalls. Es können Gerinnungsstörungen dahinter stecken, Gefäßentzündungen der kleinen Blutgefäße und wenn Kinderbeine mit diesen kleinen Punkten übersät sind, gibt es auch unangenehme Diagnosen aus dem onkologischen, immunologischen oder hämatologischen Bereich. Das alles kommt aber in der Hausarztpraxis insgesamt eher selten vor. Dennoch wusste ich erstmal nicht, was es mit den Punkten bei ihm auf sich haben könnte und stellte noch einige Fragen, um die Diagnose besser eingrenzen zu können.
Ob er noch woanders am Körper diese Hautveränderungen habe? Er verneinte.
Ob er etwas an den Ernährungsgewohnheiten geändert habe? Nein. Auch keine neuen Hygienemaßnahmen, keine neuen Kosmetika, keine neuen Waschmittel oder ähnliches.
Das schicke Hemd vielleicht? Ungewaschen nach dem Kauf getragen? Nein. Auch nicht.
Kein Fieber, keine Infektzeichen, kein Trauma.
Auch in der körperlichen Untersuchung fielen mir ebenfalls keine Besonderheiten auf. Ich war erstmal ratlos.
"Aha!", dachte ich mir geistesblitzartig, es könne ja vielleicht ein Arzneimittelexanthem sein. Diese unspezifischen Ausschläge können etwa fünf bis zehn Tage nach der Einnahme von Medikamenten auftreten und ein buntes Bild an Hauterscheinungen zeigen.
Aber nein, auch das war es nicht. Der junge Mann hatte keine Medikamente zu sich genommen.
Ich schritt also zur Tat und ließ ihm Blut abnehmen, weil der Juckreiz laut Patient schon seit Wochen bestünde und ich in der reinen Anamnese und Untersuchung nicht weiter kam. Blutbild, Entzündungswerte, Allergiewerte (IgE), Leber, Niere - ich untersuchte die gesamte Palette, denn quälender Juckreiz kann auch durch Leber- oder Nierenerkrankungen ausgelöst werden.
Einige Tage später hatte ich die Ergebnisse in der Hand und sah: nichts. Bis auf die „Allergiewerte“ IgE, die nur diskret erhöht waren, zeigten sich alle Werte im Normalbereich.
Der Patient war zur Besprechung wieder zu mir gekommen und klagte inzwischen über eine Zunahme des Juckreizes über den gesamten Körper, obwohl dort keine Veränderungen zu finden waren. Ich verschrieb ihm symptomatisch ein antiallergisches Medikament und gab ihm eine Überweisung für den Hautarzt mit, dann hörte ich wochenlang nichts von ihm, so dass ich von einer Besserung der Beschwerden und einer unspezifischen Reaktion ausging.
Dann irgendwann, es muss etwa vier Wochen später gewesen sein, war der Patient wieder bei da. An diesem Tag sah er etwas ungepflegter aus, als beim seinem ersten Besuch bei mir. Die Haut war an mehreren Stellen aufgekratzt und die Fingernägel wiesen Schmutzränder auf. Das schicke Hemd hatte er durch ein Sweatshirt mit ausgefransten Rändern eingetauscht. Er berichtete, dass der Juckreiz zeitweise etwas nachgelassen habe, aber nun wieder zunehme. Beim Hautarzt sei er nicht gewesen, da es ja anfangs etwas besser wurde.
Als ich die Schmutzränder unter den Fingernägeln sah, fiel es mir wie Schuppen vor die Augen.
Krätze. Verdammt. Wieso war ich nicht gleich darauf gekommen?
Unspezifisch und nicht immer typisch!
Die Krätze ist eine parasitäre Hauterkrankung, die durch die Krätzmilbe ausgelöst wird. Die Milbe ist 0,3-0,5 mm groß und mit bloßem Auge nicht zu sehen. Übertragen wird sie durch direkten Hautkontakt, der in der Regel mehr als fünf Minuten andauern muss. Durch reines Händeschütteln (was man aktuell in Pandemiezeiten sowieso nicht macht) überträgt sich die Milbe eher nicht. Eine Ausnahme gibt es: die Borkenkrätze, die bei Abwehrschwäche auftritt und dicke Krusten auf der Haut zeigt, ist durch die hohe Anzahl an Milben deutlich ansteckender.
Nach der Infektion gräbt sich die weibliche Milbe in die Haut ein und legt über ihre Lebenszeit von vier bis acht Wochen in den Milbengängen unter der Hautoberfläche ihre Eier ab. Außerdem landen ihre Ausscheidungen dort. Das alles verursacht den unerträglichen Juckreiz, der durch nächtliche Bettwärme verschlimmert wird.
In den ersten Wochen der Infektion juckt es allerdings noch nicht, denn es dauert etwa zwei bis fünf Wochen, bis der Juckreiz auftritt. Das heißt, dass Patienten bereits vor dem Auftreten der ersten Symptome ansteckend sind.
Eine Skabies ist nicht immer leicht festzustellen. Die typischen Erscheinungsformen mit quälendem nächtlichen Juckreiz und sichtbaren Milbengängen zeigen sich nicht immer. Die Milbengänge sind in der Regel zwischen den Fingern und Zehen lokalisiert, an Ellenbogen, Handgelenken, am Bauchnabel und an den Genitalien. Bei Babys ist gerne auch die Kopfhaut befallen. Die Haut reagiert zuweilen mit Bläschen und Rötungen, aber die kommaförmigen Milbengänge an sich sind nicht leicht zu erkennen. Der Juckreiz verbreitet sich häufig nach einiger Zeit auf dem gesamten Körper und hinterlässt dort Kratzspuren, die sich entzünden können und dann eitrige Krusten bilden.
Zurück zu meinem Patienten
Ich schämte mich etwas, dass ich den Vorurteilen erlag, dass Skabies eher bei desolaten hygienischen Zuständen auftritt. Aber immerhin hatte es mich jetzt auf den richtigen Weg gebracht und ich fragte den jungen Mann, ob es denn nachts besonders jucke, und er bejahte.
Ich war froh und ärgerlich gleichzeitig, dass ich diese simple Frage nicht bereits beim Erstgespräch gestellt hatte. Gleichzeitig war der Ausschlag bei ihm anfangs so unspezifisch, dass ich zugegebenermaßen nicht an eine Krätze gedacht hatte. Hinzu kommt, dass er ja sehr gepflegt erschien, und eine Krätze in seinen Anfängen und bei guter Hautpflege tatsächlich noch schwerer zu erkennen ist.
Dem Patienten waren auch keine Krätze-Fälle in seinem sozialen Umfeld bekannt, so dass sie typische Konstellation von „nächtlicher Juckreiz, Ausschlag und Krätze im Bekanntenkreis“ nicht zutraf. Tatsächlich fand ich bis auf einige kleine rote „Striche“ an den Unterarmen keine weiteren Spuren der Erkrankung.
Der Krätze an den Kragen
Die Krätze kann gut mit Salben oder Tabletten behandelt werden. Die antiparasitäre Salbe muss großflächig am gesamten Körper angewendet werden, es handelt sich um eine einmalige Behandlung. Die Tabletten werden in unterschiedlicher Dosierung, abhängig vom Körpergewicht, als Einmaldosis geschluckt.
Nach 24 Stunden sind die Patienten in der Regel nicht mehr ansteckend, aber nun folgen einige wichtige hygienische Maßnahmen, um die Krätze nicht abermals zu bekommen, denn man entwickelt keine Immunität.
Die Fingernägel müssen geschnitten und gereinigt, und die Kleidung und Bettwäsche bei 60°C gewaschen werden. Kuscheltierchen und nicht waschbare Textilien sollten für drei Tage in einem verschlossenen Plastikbeutel über 21°C luftdicht gelagert werden, dann sterben die Milben ab. Polstermöbel müssen abgesaugt werden, sie dürfen anschließend zwei Tage nicht verwendet werden.
Tut man das nicht, kann es zu einem Ping-Pong-Effekt kommen und der Juckreiz geht von vorne los.
Außerdem ist der Besuch von Schule, Kindergarten und Gemeinschaftseinrichtung bereits bei Verdacht auf eine Krätze verboten, da sie so ansteckend ist.
Diese hohe Infektiösität ist auch der Grund dafür, dass alle Kontaktpersonen mitbehandelt werden sollten. Denn bereits das Sitzen auf einer Couch, die Milben enthält, kann die Skabies auslösen.
So wie bei einer jungen Familie, die mir berichtete, sie hätten Freunde besucht (in der Prä-Corona-Ära), bei denen die Krätze aufgetreten war. Ich behandelte die gesamte Familie, weil zwei der Familienangehörigen über den typischen, nächtlichen Juckreiz klagten.
Die Krätze ist keine Krankheit, die auf mangelnde Hygiene hindeutet, und sie kann jeden treffen, insbesondere wenn Gemeinschaftseinrichtungen besucht werden.
Bei nächtlichem Juckreiz immer an Krätze denken
Deswegen: bitte bei typischem Juckreiz oder Krätze im Bekanntenkreis zum Hausarzt gehen und gegebenenfalls danach fragen. Denn ganz so einfach, wie man manchmal liest, ist sie nicht zu erkennen.
Mein junger Patient wurde behandelt und über sämtliche Hygienemaßnahmen informiert. Es schlug sofort an.
Und ich hatte wieder was gelernt. Manchmal kriegste einfach die Krätze.
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Quellen, alle abgerufen am 20.2.21:
https://www.infektionsschutz.de/erregersteckbriefe/kraetze-skabies.html#c5842
https://www.amboss.com/de/wissen/Skabies
https://www.aerzteblatt.de/archiv/197436/Skabies-Erfahrungen-aus-der-Praxis
Bild: Wikimedia, Kalumet, CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons
Anonymität: Alle beschriebenen Personen sind verändert, seines vom Alter und/oder Geschlecht oder bzgl des Aussehens und der sozialen Umstände.
Gender: Ich schreibe für die Lesbarkeit im generischem Maskulinum (z.B. Hausarzt). Natürlich möchte ich aber Menschen jeglichen Geschlechts ansprechen.