Puh, hier liegt so viel Staub auf meinem Blog! Auf der Tastatur, auf meiner Website und ein wenig auch auf mir. Im Juli habe ich meinen letzten Beitrag veröffentlicht, so lange habe ich nicht geschrieben! Ich vermisse es sehr. Daher möchte ich an dieser Stelle wenigstens ein kleines Lebenszeichen von mir geben.
Hallo. Mich gibt es noch. Aktuell versinke ich in Arbeit und das ist natürlich angesichts der aktuellen Lebensumstände, der gestiegenen Kosten und möglichen Zukunftssorgen ein phantastischer Zustand, für den ich sehr dankbar bin. Meine Kinder und ich habe ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, es ist warm und mein Job krisensicher. Es geht mir wirklich gut.
Aber ich komme nicht umhin zu sagen, dass es aktuell sehr anstrengend ist.
Im September habe ich meine wöchentliche Arbeitszeit aufgestockt, weil ich zum einen mein Patientenpensum kaum geschafft habe und meine festen Termine immer um 4-6 Wochen im Voraus ausgebucht sind. Zum anderen spielen meine Weiterbildung und meine nahende Facharztprüfung eine Rolle sowie die finanzielle Situation, die ich als teilzeitarbeitende, angestellte Ärztin und Mutter verbessern wollte.
Wir Hausärzte:innen als Blitzableiter
Die Lebensumstände im Allgemeinen gehen an allen Menschen nicht spurlos vorüber. Das merke ich in der täglichen Arbeit in der Praxis. Selten bin ich so oft beinahe unverschämt angemault worden, wie in den letzten Wochen. Und insbesondere "meine" MFA's müssen einiges an Verbalattacken aushalten. Weil die Wartezeit in der Akutsprechstunde zu lange dauert, weil „nie jemand ans Telefon geht“ oder weil manche Medikamente und Behandlungen nicht verordnet werden können.
Ich persönlich kenne keine Praxis, die aktuell nicht vollkommen überlaufen ist und an die Grenzen des Leistbaren kommt. Aber genau dann diejenigen anzumeckern, die an der medizinischen Front die Stellung zu halten versuchen, ist meines Erachtens der falsche Weg. Wenn ich auch die emotionalen Beweggründe nachvollziehen kann: Man hat als Patient:in Fieber oder Schmerzen, benötigt Hilfe oder nur mal schnell eine Krankmeldung - und wartet und wartet, es ist voll und laut. Dann werden andere augenscheinlich vorgezogen, obwohl man selbst schon seit 8 Uhr morgen in der Praxis ist. Dass diese vorgezogenen Menschen aber vielleicht seit Wochen einen festen Termin zum Ultraschall oder im Labor haben, kann der Wartende nicht wissen.
Es ist doch so: Angenommen, ich habe 15 Menschen auf meiner Warteliste und fünf Patient:innen benötigen „nur mal schnell eine Krankmeldung“, dann muss ich dennoch diese Erkrankten je nach Krankheitsbild wenigstens kurz untersucht haben - den Bauch abhören und abtasten bei Magen-Darm-Infekt. Die Lunge abhören bei Husten, in den Hals schauen bei Halsschmerzen, das Knie durchbewegen bei Knieschmerzen.
Nun kommen aber natürlich noch andere Menschen in die Sprechstunde, die Hilfe benötigen. Wie entscheide ich, dass die schnelle Krankmeldung vor dem Menschen mit Schmerzen oder derjenigen/diejenigen mit psychischen Problemen an der Reihe ist? Also gilt in der Akutsprechstunde: first come first serve. Notfälle sind davon natürlich immer ausgenommen. Atemnot, Brustschmerzen etc. werden vorgezogen.
Ich erinnere mich an eine Situation vor einigen Jahren, als jemand über die sich durch eine Reanimation verschobene Sprechstunde vollkommen entrüstet war. "Ich wollte doch nur schnell ein Rezept haben!"
Wir fungieren dann als Blitzableiter.
Viel geändert hat sich in den letzten Jahren seit der Corona-Pandemie nicht. Die Nerven liegen bei den Menschen häufig blank, und on top kommen nun die ausgebliebenen Infekte der letzten Jahre zurück. RSV, Influenza, Streptokokken, Magen-Darm-Grippe in diversen Schattierungen und sogar Keuchhustenfälle habe ich in der Sprechstunde.
Die Reaktionen auf das Warten sind dann teilweise so attackierend, dass ich schon sehr an meinem Beruf gezweifelt habe und den Rest meines beruflichen Lebens mit dem Anfertigen von Pralinen verbringen möchte. 99 Prozent aller Patient:innen sind lieb und zugewandt. Aber die wenigen, die einen verbal angreifen, können bleibenden Eindruck hinterlassen und einem die Freude am Beruf madig machen.
Und dennoch: kein anderer Beruf
Dennoch werde ich nächstes Jahr in „meine“ Praxis einsteigen, weil ich mein Herz an diesen Beruf, meine Kolleg:innen und meine Patient:innen verloren habe. Daher werde ich in den nächsten Monaten noch ein bisschen heranklotzen müssen, bevor alles in die Wege geleitet ist.
Bis dahin züchte ich weiter mein dickes Fell (was angesichts der Energiekrise und des nahenden Winters hilfreich sein könnte) und freue mich, wenn ich zwischendurch auch mal ein liebes Wort mit lieben Patient:innen und viele Lacher mit meinen Kolleg:innen teile. Das Lachen haben wir nämlich noch nicht verloren und dafür bin ich sehr dankbar.
Und nun entschuldigt mich, ich muss ich hier noch ein wenig abstauben.