Ein etwa 5-jähriges Mädchen, nennen wir sie Luisa, ist in Begleitung ihrer Mutter bei mir in der Sprechstunde. Die Kleine hängt schlapp im Arm der Mutter, die Wangen des Kindes sind deutlich gerötet, die Augen glänzen. Kurz gesagt: das Kind sieht schon auf den ersten Blick sehr krank aus.
„Sie bekam gestern abends plötzlich Fieber und sie will überhaupt nichts mehr essen“, erklärt mir die besorgte Mutter. Das Mädchen vergräbt ihren Kopf in der Halsbeuge ihrer Mutter. „Und sie spricht kaum noch, ich glaube der Hals tut ihr weh“.
Kinder lassen sich erfahrungsgemäß ungerne in den Hals schauen, aber es hilft ja nichts, wir müssen wissen, was im Rachen so schmerzt. Ich nehme also Lämpchen und Ohrenspiegel -die verhassten Holzspatel, um die Zunge herunter zu drücken, lasse ich erst einmal weg- und rolle mit meinem Schreibtischstuhl gehfaul auf das Kind zu. Die Kleine lugt mit einem Auge aus dem Schutz der Mutter hervor und drückt ihren Stoffhasen an sich, den sie dabei hat.
„Darf ich Deinem Hasen mal in den Hals schauen?“, frage ich.
Luisa spricht immer noch nicht, nickt aber und hält mir den Hasen hin.
„Wie heißt er denn?“
„Hasi“, antwortet die Mutter für ihre Tochter. Ich muss schmunzeln. Meine Kreativität als Kind war ähnlich gestrickt. Alle meine Stofftiere wurden stumpf nach Tierart benannt: Bär, Hasi, Dino.
„Ui, hat der Hase aber einen roten Hals, das tut ihm bestimmt weh“, sage ich, als ich dem Stofftier „in den Mund schaue“. Luisa nickt schwach.
„Wie bei Hasi mache ich das jetzt bei Dir, ok? Du machst den Mund auf und ich gucke hinein.“ Luisa nimmt schließlich allen ihren Mut zusammen und lässt mich nachschauen.
Ein Blick genügt, und ich sehe das entzündliche Inferno. Der Rachen ist hochrot, die Mandeln geschwollen und auf ihnen finden sich kleine „Eiterseen“. Die Zunge zeigt einen gelben Belag. Husten und Schnupfen hat Luisa nicht, was typisch für eine Streptokokkenangina ist.
„Im Kindergarten gab es mehrere Scharlachfälle“, wirft die Mutter ein und ich nicke. „So sieht das auch aus.“
Ich suche das Mädchen noch nach Ausschlägen ab, finde aber keine, was die Diagnose aber nicht weniger unwahrscheinlich macht, weil die Ausschläge manchmal erst später oder auch gar nicht auftreten können.
Bakterien, die selbst infiziert sind
Scharlach ist eine der klassischen Kinderkrankheiten und wird durch sogenannte Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes) übertragen. Die Ansteckung erfolgt durch Tröpfchen- und Schmierinfektionen.
Die Erkrankung äußert sich nach einer Inkubationszeit von ein bis drei Tagen durch Fieber, eine schmerzhafte Mandelentzündung, die berühmte Himbeerzunge und einen Ausschlag, der nach zwei bis vier Tagen typischerweise in den Leisten und Achseln auftritt, aber auch auf den ganzen Körper übergehen kann und hellrosa, samtartig erscheint. Manchmal haben Kinder, vor allem sehr junge Kinder, auch starke Bauchschmerzen und müssen erbrechen.
Um den Mund herum sieht man häufig, wie bei Luisa, eine Blässe, weil die Wangen stark gerötet sind. Diese Blässe wird auch als Milchbart bezeichnet. Die Himbeerzunge zeigt sich anfangs als stark weißlich belegte Zunge, die nach Ablösen des Belags schließlich hochrot ist. Die entzündeten und geschwollenen Geschmackspapillen geben der Zunge den "Himbeeraspekt".
Scharlach kann aber auch ohne Ausschlag, Himbeerzunge oder Fieber auftreten, nicht aber ohne eine Mandel- oder Rachenentzündung.
Die Streptokokken, die Scharlach verursachen, sind selbst durch ein Bakterienvirus, eine sog,. Bakteriophage, infiziert. Dadurch produzieren sie ein Toxin, das die typischen Scharlach-Symptome auslöst. Da es mehrere Toxine gibt, kann man auch mehrfach im Leben an Scharlach erkranken. Ohne die Toxine erkrankt man durch die Streptokokken an einer „normalen“ eitrigen Mandelentzündung. Und da es mehrere Duzend verschiedene Streptokokken-Arten gibt, kann man immer wieder an einer eitrigen Mandelentzündung („Tonsillitis“) erkranken.
Am besten Penicillin - wenn es lieferbar ist
Die Behandlung von Scharlach erfolgt mit Antibiotika, am besten mit Penicillin, sofern keine Allergien bekannt sind. Und sofern es lieferbar ist. Aktuell haben wir ja große Probleme mit der Lieferbarkeit diverser Medikamente, sogar Listen der örtlichen Apotheken haben wir bekommen, die uns mitteilen, welches Antibiotikum gerade zu kriegen ist.
Als Alternative zu Penicillinen kann man auch Cephalosporine oder Makrolide verabreichen.
Heutzutage verläuft die Erkrankung deutlich milder als noch in der Prä-Antibiotika-Ära, als Scharlach eine sehr gefährliche Krankheit war. Nicht nur die Erkrankung an sich, sondern auch die Spätfolgen in Form von Rheumatischem Fieber, Nierenschäden oder neurologischen Krankheiten hatten es in sich.
Auch Luisa kommt nicht ohne Antibiotikum davon. Damit wird es Luisa in 24 Stunden schon deutlich besser gehen, ansteckend ist sie dann auch nicht mehr. Bis sie wieder in den Kindergarten gehen kann, sollte sie allerdings wieder ganz gesund sein.
Und Hasi auch.
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Foto: Martin Kronawitter, CC BY-SA 2.5 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5>, via Wikimedia Commons