There’s non glory in prevention - dieser Ausspruch wurde 2020 berühmt, als die Corona-Pandemie ihren Lauf nahm und Überlegungen laut wurden, wie man die Ausbreitung der Erkrankung verhindern könnte.
Der Virologe Drosten machte diesen existierenden Ausspruch bekannt und deutete damit an, was später auch Wirklichkeit wurde: die verhinderten Erkrankungen dankt dir niemand. Weil man ohne das Auftreten von Erkrankungen schließlich nicht weiß, ob und wie schlimm es einen erwischt hätte.
Das Thema Prävention begleitet uns Hausärzt:innen jedoch nicht nur im Rahmen einer Pandemie, sondern im täglichen Umgang mit unseren Patient:innen.
Das Bundesgesundheitministerium schreibt dazu: „Prävention ist im Gesundheitswesen ein Oberbegriff für zielgerichtete Maßnahmen und Aktivitäten, um Krankheiten oder gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden, das Risiko der Erkrankung zu verringern oder ihr Auftreten zu verzögern.“
Eines der Themen, die einen massiven Einfluss auf unsere Gesundheit und die verbleibende Lebenszeit haben, ist die Arteriosklerose. Die Gefäßverkalkung entsteht oft bereits unbemerkt in jüngeren Jahren, kann uns aber das Alter ganz schön vermiesen.
Das böse Cholesterin
In dem Zusammenhang ist auch das Cholesterin wichtig. Wenige Schlagworte sind in der Medizin so heiß diskutiert worden wie dieses (mal abgesehen von „Impfung“ und „Corona“).
Die „Cholesterin-Lüge“ liest man hin und wieder. Die Pharmaindustrie stecke dahinter (wie immer, ne. Die böse böse Pharma…), sie sponsere Studien, die ein möglichst niedriges Cholesterin propagieren, um ihre Cholesterinsenker, so genannte Statine, zu vermarkten. Auch in der Praxis weigern sich Menschen regelrecht, diese Medikamente zu nehmen, da man „das Cholesterin für die Zellen brauche“, und „die Tabletten die Leber schädigen“ und überhaupt möge man Tabletten ja gar nicht.
Das alles ist wahr und nicht wahr, wie so oft in der Medizin.
Dröseln wir das Ganze doch mal auf. Was genau ist denn Cholesterin?
Es ist kein Fett, wie man sich das gerne vorstellt, sondern ein Sterol, chemisch gesehen ein Alkohol, der aus mehreren Ringen aufgebaut ist. Produziert wird Cholesterin in der Leber und ist für unseren Körper essentiell. Es ist Bestandteil der Zellmembranen. Unser Gehirn speichert 25% des Cholesterins und Untersuchungen zeigen keine geistigen Einschränkungen, wenn es es medikamentös gesenkt werden muss. Es existieren sogar Hypothesen, dass die Reduktion von Cholesterin einen schützenden Einfluss vor Alzheimer habe (Quelle s.u.)
Cholesterin enthält eine lipophile („fettliebende“, fettlösliche) und eine hydrophobe (wasserabweisende) Komponente und ist wichtig als Vorläufer für bestimmte Hormone und für Gallensäuren, außerdem dient ein Zwischenprodukt aus der Cholesterinsynthese als Vorstufe des Vitamin D.
Viele von uns haben noch die mahnenden Sprüche im Kopf, dass man nicht zu viele Frühstückseier verspeisen möge, denn das sei nicht gut für den Cholesterinspiegel im Blut. Damit mutierte das Frühstücksei zum Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfälle. Dabei weiß man, dass etwa 90% des Cholesterins in der Leber selbst hergestellt wird. Es existiert ein Rückkopplungsmechanismus: Esse ich zu viele Eier, greifen verschiedene Regulationsmechanismen, damit mein Cholesterinspiegel keine exorbitanten Höhen erreicht. Gleichzeitig wird der Cholesterinspiegel durch die Ernährung dennoch beeinflusst, wenn zu viele gesättigte Fettsäuren in Form von Wurstwaren, Milchprodukten und fettreichen Süßigkeiten zu sich genommen werden.
Darüberhinaus ist eine familiäre Veranlagung für ein erhöhtes Cholesterin immens wichtig und dem sollte nachgegangen werden, insbesondere wenn innerhalb der Familie Verwandte ersten Grades von Gefäßerkrankungen betroffen sind.
In der Praxis messen wir in der Regel das Gesamtcholesterin, das laut Empfehlungen 200 mg/dl nicht überschreiten sollte, aber als Einzelmessung wenig aussagekräftig ist. Die Aufsplittung in LDL und HDL ist viel relevanter. Inzwischen wird empfohlen, das sogenannte Non-HDL als Risikomarker zu messen: Das Non-HDL ist das Gesamtcholesterin minus das HDL und meint damit alle Lipoproteine, die das Cholesterin in der Peripherie verteilen.
Lipoproteine
Aber was sind denn nun schon wieder Lipoproteine…?
Transportiert wird das Cholesterin in unserem Körper in Form von sogenannten Lipoproteinen. Das sind kleine Partikel aus Fett und Eiweiß, weil Cholesterin selbst im Wasser unlöslich ist. Es gibt verschiedene, z.B. LDL (berühmt als das „böse“ Cholesterin), das HDL („gutes Cholesterin“), VLDL, IDL, Chylomikronen. Sie sind unterschiedlich groß und schwer und sind in verschiedenen Richtungen in der Blutbahn unterwegs, also von der Leber zur Zelle oder im Rückwärtsgang wieder zur Leber hin. LDL, IDL, VLDL transportieren Cholesterin in die Periphere, HDL nimmt es wieder mit zur Leber, wo es keinen Schaden anrichtet.
Ab einer Größe von 70 nm sind Lipoproteine atherogen, können also die „Gefäßverkalkung“ vorantreiben.
Cholesterin und die Gefäßverkalkung
Grundsätzlich funktioniert die Arteriosklerose so, dass Schädigungen der Gefäßinnenschicht (Endothel) durch verschiedene Risikofaktoren, beispielsweise ein unbehandelter Diabetes mellitus, Zigarettenrauchen oder schlecht eingestellter hohen Blutdruck, zu einer Schädigung und Entzündungsreaktion in der Gefäßwand führt. Lipide aus der Blutbahn binden an Zellen des Endothels und Fresszellen (Makrophagen) nehmen sie auf, es entstehen sogenannte Schaumzellen und erste Ablagerungen.
Darüberhinaus verdickt die innere Gefäßschicht aufgrund einer Zunahme von kleinen Muskelzellen (SMC, smooth muscle cells). Dies ist der Beginn der Arteriosklerose und kann schon bei übergewichtigen Kindern stattfinden, weil hohe Insulinspiegel die Vermehrung dieser Muskelzellen stimuliert. Es kommt zum Einsprossen neuer kleiner Blutgefäße innerhalb des größeren Blutgefäßes (denn die inneren Schichten müssen sich ja selbst auch mit Blut und Nährstoffen versorgen), aber diese sind leider durchlässiger für Lipidpartikel und Cholesterin. Diese Stoffe lagern sich also ab und treiben die Arteriosklerose voran.
Manche dieser Plaques sind instabil. Im schlimmsten Fall reißen solche Ablagerungen auf und verschließen das Gefäß komplett - wir haben den Ernstfall eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalls. Ein Großteil der Gefäßverschlüsse kommt nicht durch das kontinuierliche Wachstum der Ablagerungen zustande, sondern durch das Aufreißen derselben, auch wenn sie noch nicht so groß sind.
Da Entzündungen das Voranschreiten oder das Aufreißen der Plaques begünstigen kann, sehen wir auch häufiger Schlaganfälle und Herzinfarkte bei einer akuten Influenza- oder Covid-Infektion.
Cholesterin an sich ist also nicht böse. Es kann aber in Verbindung mit anderen Risikofaktoren eine Arteriosklerose begünstigen, und das passiert in unserer modernen Zivilisation besonders gerne.
Wo kann man nun präventiv ansetzen?
Die Risikofaktoren für die Entwicklung einer Arteriosklerose sind:
- Non-HDL-Cholesterin
- Adipositas
- Familiäre Vorgeschichte
- Rauchen
- Bluthochdruck
- Diabetes mellitus/Insulinresistenz
- Chronische Entzündungen z.B. im Rahmen von Autoimmunerkrankungen wie Rheuma
- Stress
- Alter/Geschlecht
- Lipoprotein a
- Homocystein
Die Punkte, die man am besten beeinflussen kann, und die ihr auch mit eurem Hausarzt/eurer Hausärztin besprechen solltet sind das Non-HDL, das Lipoprotein a, Tabakentwöhnung und eine optimale Einstellung des Blutdrucks, Gewichtsreduktion und Reduktion der Blutzuckerwerte, ggf. unter Zuhilfenahme einer Ernährungsberatung.
Es wird empfohlen, einmal im Leben das sogenannte Lipoprotein a bestimmen zu lassen, weil dies familiär erhöht sein kann und als eigenständiger Risikofaktor für Gefäßerkrankungen gilt. Man kann es leider nicht senken, aber durch optimale Kontrolle der anderen Risiken die Gefahr kontrollieren.
Darüberhinaus kann man das Homocystein messen, das als hochreaktive Aminosäure Sauerstoffradikale produziert und die Arteriosklerose begünstigt. Es kann durch genetische Erkrankungen oder durch Mangelzustände von Vitamin B12 und Folsäure erhöht sein, was zum Beispiel für Veganer wichtig ist zu wissen.
Ein Wort zu Cholesterinsenkern
Vorhin habe ich ja schon angedeutet, dass die Cholesterinsenker (Statine) sehr verschrien sind. Zu Unrecht.
Wie wir ja gelernt haben, kann man mit einer ausgewogenen Ernährung, am besten in Form der mediterranen Diät, die Cholesterinwerte reduzieren. Denn die mediterrane Ernährungsform beinhaltet viel Gemüse und gesunde, ungesättigte Fette, die einen Einfluss auf das LDL-Cholesterin haben. Deutlich erhöhte LDL bzw. Non-HDL-Werte muss man medikamentös senken, insbesondere wenn schon ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt aufgetreten ist.
Die Medikamente können Nebenwirkungen haben, wie alle Medikamente. Typisch sind Muskelschmerzen, die aber nach Absetzen der Tabletten wieder verschwinden. Treten die Schmerzen auf, sollte man ein anderes Präparat versuchen. Auch können die Leberwerte ansteigen, aber auch hier gilt, dass ein anderes Präparat die Lösung sein kann. Die Mehrheit der Patient:innen verträgt die Statine gut und verringert damit das eigenen Risiko deutlich, eine fatale Erkrankung zu entwickeln.
Letztlich muss immer die Gesamtheit aller Risikofaktoren betrachtet werden, hierfür gibt es verschiedene Scores, mit denen das individuelle Risiko ermittelt werden kann.
Prävention bedeutet: Auch wenn man sich noch gesund fühlt, sollte man schon an seiner Zukunft arbeiten. Am besten ohne Medikamente, wenn es irgendwie geht, sondern mit gesunder Lebensweise und Ausschaltung möglichst vieler Risikofaktoren.
Und weil ich mich jetzt vier Stunden lang nur mit Cholesterin beschäftigt habe, muss ich erstmal eine halbe Tafel Schokolade essen. Meine Arterien mögen es mir verzeihen.
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Quellen:
https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/herz-kreislauf-krankheiten/arteriosklerose/atherosklerose
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8444505/
https://www.uniklinik-ulm.de/fileadmin/default/09_Sonstige/Klinische-Chemie/Seiteninhalte/Seiteninhalte_H/HDL-Cholesterin___Non-HDL-Cholesterin_FB-PAE_6_HDL-CHOL_OE.pdf
https://www.imd-berlin.de/fachinformationen/diagnostikinformationen/homocysteinaemie
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