Früherkennungsmaßnahmen werden landläufig auch gerne als "Vorsorge" bezeichnet, wenn der Begriff auch so nicht ganz korrekt ist.
Der Begriff Vorsorge bezeichnet Maßnahmen, die dem Erhalt der Gesundheit dienen und eigentlich nicht die Suche nach Anzeichen einer frühen Erkrankung.
Mit Früherkennungsmaßnahmen möchte man Krankheiten in einem frühen Stadium finden, damit keine langfristigen und schweren Folgen entstehen.
Aktuell mache ich eine Fortbildung zur Präventivmedizinerin und wann immer mich jemand fragt, was das eigentlich bedeutet, muss ich etwas weiter ausholen.
„Sport und gesundes Essen, ich weiß schon“, sagen die einen und rollen genervt mit den Augen.
„Nicht jeder kann Sport machen!“, sagen die anderen.
Dabei geht es beim Thema Prävention nicht bloß um eine gesunde Lebensführung und einen krankheitsvermeidenden Lebensstil. Es geht praktisch um alle Maßnahmen, die eine Krankheit verhindern, die Lebensqualität verbessern oder auch Überdiagnostik vermeiden sollen.
Bevor ich zu den praktischen Informationen kommen, hier ein schneller Überblick über die Definitionen:
1. Primäre Prävention: Ziel ist es, Risikofaktoren und Krankheiten zu vermeiden. Nicht nur Bewegung und gesundes Essen, sondern auch Maßnahmen zur Tabakentwöhnung, Impfungen oder Sonnenschutz gehören in diese Kategorie.
2. Sekundäre Prävention: Bereits bestehende Krankheiten sollen eingedämmt und eine Chronifizierung vermieden werden. Auch die berühmten U-Untersuchungen im Kindesalter und Screeninguntersuchungen gehören in diese Gruppe, darauf werde ich unten im Text im Detail eingehen.
3. Tertiäre Prävention: Hier finden wir z.B. Rehabilitation nach Erkrankungen und die Vermeidung von Rückfällen.
4. Quartäre Prävention: Diese soll unnötige Behandlungen und Übermedikalisierung vermeiden. Wenn ein Patienten sich krank fühlt, aber keine Befunde ermittelt werden können, wie z.B. beim Reizdarm, dann muss eine Überdiagnostik (z.B. wiederkehrende Darmspiegelungen) und ein Zuviel an Medikamenten vermeiden werden.
Daneben gibt es noch die Begriffe Verhaltensprävention, die auf eine Aufklärung der Bevölkerung und die Vermeidung von Risikofaktoren hinausläuft, sowie die Verhältnisprävention, die eine Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen beinhaltet, bspw Arbeitsschutz, Helmpflicht oder Solariumverbot für < 18 -Jährige.
Puh, genug nun der langweiligen Definitionen. Kommen wir zum Text, der Euch hoffentlich einen praktischen Nutzen bringt. Ich möchte auf sekundäre Präventionsmaßnahmen eingehen, die von uns allen genutzt werden können und genutzt werden sollten, denn hier gehören die Screeningprogramme der Krankenkassen dazu, über die man gerne mal den Überblick verliert.
Gesundheitsuntersuchung
Die Gesundheitsuntersuchung zur Früherkennung von Krankheiten kann einmalig für Erwachsene zwischen 18 und 34 Jahren sowie alle drei Jahre ab dem 35. Lebensjahr durchgeführt werden. Sie besteht aus einer ausführlichen Befragung (Anamnese) sowie einer körperlichen Untersuchung inklusive Blutdruckmessung.
Erwachsene ab dem 35. Lebensjahr haben Anspruch auf eine Untersuchung des Urins und auf eine Laboruntersuchung, die Glukose und Cholesterin beinhaltet. Ich persönlich empfehle eine Erweiterung der Laboruntersuchung, wenn lange keine Blutwerte kontrolliert wurden. Das heißt, dass manche Laborwerte selbst bezahlt werden müssen, diese uns jedoch einen besseren Überblick über den Gesundheitszustand geben. Diese Werte sind abhängig von Vorerkrankungen und familiärer Vorgeschichte, aber da wir bei einer Gesundheitsuntersuchung vor allem scheinbar Gesunde vor uns sitzen haben, gehe ich nicht auf Laboruntersuchungen bei Krankheiten ein. Für sinnvoll im Rahmen des "Check-ups“ halte ich:
- ein kleines Blutbild, gerade bei Frauen vor den Wechseljahren, um eine eventuelle Blutarmut durch die Periode zu erkennen. Dann wäre auch der Ferritinwert (Eisenspeicher) relevant.
- kleines Blutbild, Eisen, Ferritin, Vitamin B 2 und 12, Vitamin D, Kalzium, Zink, Jod, TSH bei Vegetariern/Veganern. Je weniger tierische Produkte konsumiert werden, um so genauer muss man hinsehen, z.B. bei Kalzium. Werden regelmäßig Milchprodukte verzehrt, kann man sich den Wert sparen.
- Leberwerte, insbesondere bei regelmäßigem Alkoholkonsum oder Medikamenteneinnahme
- Kreatinin (Nierenwert)
- TSH (Schilddrüse). Die Untersuchung von fT3 und fT4 ist bei V.a. eine Schilddrüsenerkrankung sinnvoll, bei völligem Wohlbefinden kann man darauf verzichten.
- Harnsäure (Gicht)
Natürlich sind die Laborwerte als privat gezahlte Leistung beinahe beliebig erweiterbar. Bitte sprecht mit eurem Arzt/eurer Ärztin darüber, welche Werte bei Euch sinnvoll wären.
Aber Achtung, nicht alle Untersuchungen machen Sinn! Um ein Beispiel explizit zu nennen: Tumormarker für Brust-, Darm oder Lungenkrebs sind nicht sinnvoll! Diese Marker sind nur relevant, wenn bereits eine Tumorerkrankung festgestellt wurde und man anhand der Höhe der Marker einen Rückfall erkennen und den Verlauf beobachten kann.
Die Gesundheitsuntersuchung beinhaltet ferner ab 35 Jahren die einmalige Bestimmung einer möglichen Hepatitis B oder C-Infektion.
Über alle Ergebnisse wird der Patient dann aufgeklärt und beraten.
Hautkrebsscreening
Ab dem 35. Lebensjahr können Patienten alle zwei Jahre eine Untersuchung der Haut auf Hautkrebs und dessen Vorstufen durchführen lassen. Hierfür müssen die gesamte Haut, die Kopfhaut, die Schleimhäute und auch die Zwischenräume von Fingern und Zehen begutachtet werden. Ebenso wird der Arzt/die Ärztin die Intimregion kurz inspizieren, weil viele Menschen sich nicht selbst im Intimbereich ansehen, dort jedoch auch Hautkrebs auftreten kann. Bei einem auffälligen Befund erfolgt die Überweisung zum Dermatologen. Es macht Sinn, das Hautkrebsscreening mit einer Gesundheitsuntersuchung zu kombinieren.
Zervixkarzinom, Gynäkologische Untersuchung
Frauen ab 20 Jahren werden jährlich auf ein Karzinom des Gebärmutterhalses untersucht, dies schließt einen zytologischen Abstrich mit ein - der berühmte Pap-Test.
Frauen ab dem 35. Lebensjahr erhalten alle drei Jahre einen zytologischen Abstrich sowie zusätzlich einen HPV-Abstrich.
Bei der gynäkologischen Vorsorge ist außerdem die Untersuchung der Genitalregion und Abtasten inkludiert, sowie eine jährliche Tastuntersuchung der Brust und der Achsellymphknoten.
Was wenige wissen: Bis zum 25. Lebensjahr übernehmen die Krankenkassen außerdem eine jährliche Untersuchung des Urins auf Chlamydien, da unerkannte Infektionen eine Unfruchtbarkeit auslösen kann.
Prostata-Screening
Männer ab dem 45. Lebensjahr haben Anspruch auf eine jährliche Tastuntersuchung.
Der berühmte PSA-Test, der das Prostata-spezifische-Antigen im Blut nachweist und damit Hinweise auf eine Krebserkrankung der Prostata geben kann, ist keine Leistung der Gesetzlichen Krankenkassen und zudem umstritten. Der Wert reagiert recht sensibel auf Druck auf die Prostata, z.B. beim Radfahren, oder ist bei Entzündungen und Hypertrophie der Prostata, aber auch nach Samenerguss, erhöht. Dies gilt zu bedenken und mit dem Arzt/der Ärztin zu besprechen.
Eine Ultraschalluntersuchung der Prostata als Früherkennungsmaßnahme ist keine Leistung der GKV und kann als Privatleistung bei einem Urologen oder Hausarzt durchgeführt werden.
Darmkrebs
Ab dem 50. bis zum 54. Lebensjahr können sich Frauen und Männer jährlich auf Blut im Stuhl untersuchen lassen (iFOBT). Weil die Wahrscheinlichkeit für Darmkrebs mit dem Alter steigt, wird ab einem gewissen Alter eine Darmspiegelung empfohlen: Frauen ab 55 Jahren und Männer ab 50 Jahren erhalten zwei Koloskopien im Abstand von 10 Jahren.
Wenn sie das Angebot nicht wahrnehmen, kann nun stattdessen alle zwei Jahre die eben schon erwähnte sogenannte iFOBT-Untersuchungen durchgeführt werden.
Hierbei wird der Stuhl auf winzige Blutspuren untersucht. Dies gilt aber nur, wenn noch keine Früherkennungskoloskopie durchgeführt wurde.
Wird das Angebot erst ab dem 65. Lebensjahr wahrgenommen, besteht Anspruch auf eine Darmspiegelung.
Aortenaneurysma
Männer ab dem 65. Lebensjahr haben einmalig Anspruch auf eine Ultraschalluntersuchung der Bauchaorta, um Aussackungen (Aneurysma) zu erkennen. Aortenaneurysmen können ab einer gewissen Größe reißen und tödliche innere Blutungen hervorrufen.
Brustkrebs
Ab dem 30. Lebensjahr wird die Brust jährlich durch den Gynäkologen/die Gynäkologin abgetastet. Frauen zwischen 50 und 70 Jahren erhalten alle zwei Jahre eine Mammographie.
Kinder- und Jugenduntersuchungen
Kinder und Jugendliche erhalten regelmäßig Einladungen zu den sogenannten „U’s“. Bei diesen werden je nach Alter Seh- und Hörtest, eine körperliche Untersuchung, eine Einschätzung der körperlichen und kognitiven Entwicklung und eine Beratung sowie Kontrolle des Impfstatus durchgeführt. Blutabnahmen werden nur bei festgestellten Auffälligkeiten gemacht.
Daneben gibt es noch Zahnvorsorge sowie Schwangerschaftsvorsorge, aber die Themen überlasse ich den entsprechenden Fachkolleg:innen.
Es macht wirklich Sinn, Früherkennung durchzuführen. Gleichzeitig sollte man genau hinschauen, wenn einem zu viele Früherkennungsmaßnahmen empfohlen werden, die privat bezahlt werden müssen. Eine jährliche Ultraschalluntersuchung der Bauchregion oder der Schilddrüse ohne Beschwerden macht keinen Sinn. Eine einmalige Untersuchung bei familiärer Vorbelastung kann aber durchgeführt werden, um Sorgen zu nehmen, insbesondere da der Ultraschall eine nicht-invasive und kaum belastende Maßnahme ist. Ich persönlich mache jährliche Sonographien der Brust, da meine Mutter vor vielen Jahren an Brustkrebs verstarb.
Nicht sinnvoll sind, wie schon erwähnt, Tumormarker ohne bekannte Erkrankung oder jährliche Röntgenuntersuchungen diverser Körperteile (z.B. Lunge), weil die Strahlenbelastung zu hoch wäre. Besteht aber bei Rauchern der Verdacht auf eine Lungekrebserkrankung, kann auch im jüngeren Alter ein Low-Dose-CT durchgeführt werden. Die Wahrscheinlichkeit, einen kleineren Tumor zu entdecken, ist größer als beim konventionellen Röntgenbild.
Aus dem Praxisalltag
Zum Abschluss möchte ich Euch eine kleine Anekdote aus dem Praxisalltag erzählen:
Eine 58-jährige Patientin kam zur Gesundheitsuntersuchung zu mir in die Sprechstunde. Nachdem wir kurz über Vorerkrankungen und familiäre Belastungen gesprochen hatten, bat ich Sie, sich bis auf die Unterwäsche freizumachen und auf die Untersuchungliege zu setzen. Sie tat wie geheißen. Dort maß ich erst einmal den Blutdruck und den Puls, hörte sie dann an Herz und Lunge ab, klopfte, tastete und drückte auf Nieren, Bauch, den Lymphknotenstationen und den Beinen herum, bewegte die Gelenke und schaute in Hals und Ohren. Danach musste sie noch ein wenig Gymnastik machen und mir Koordination und Beweglichkeit zeigen. Sie starrte mich fassungslos an, als ich fertig war und ich wurde unsicher. Hatte ich ihre Intimsphäre verletzt oder war ihr zu nahe gekommen? War ich vielleicht wenig unsensibel gewesen oder habe ihr Angst gemacht, dass sie etwas Ernsthaftes hätte? Also fragte ich sie, ob alles in Ordnung sei.
Da sagte sie nur ganz perplex: „Also ich muss ja zum Glück nicht oft zum Arzt, aber so gründlich bin ich noch nie untersucht worden!“
Ich musste lachen und freute mich sehr, sie glücklich gemacht zu haben. Solche Situationen sorgen dafür, dass ich meinen Beruf so sehr mag.
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Quellen und Links:
https://www.gesundheitsinformation.de/der-psa-test-zur-frueherkennung-von-prostatakrebs.html
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/user_upload/deutsch.wegweiser-gesundheit.2022.pdf
https://www.mri-roentgen.ch/de/angebot/computertomographie-ct/low-dose-ct-der-lunge/
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