„Frau Doktor, schön Sie zu sehen!“
Freudig werde ich von der Herzsport-Gruppenleiterin begrüßt, als ich die Sporthalle betrete. Ahnungslos, weil ich die Betreuung noch nie gemacht habe und für eine Kollegin einspringe.
Wo muss ich hin? Was muss ich machen? Und wie so oft spukt mir eine Frage im Kopf herum, die ich so oft denke: Nehmen sie mich ernst? Wie oft ich höre: „Sie sind aber noch eine junge Ärztin!“
Das ist schön und schmeichelhaft für mein privates Ich. Für die Ulrike, die sich jeden Morgen und jeden Abend Feuchtigkeitspflege ins Gesicht schmiert und die ersten grauen Jahre mit Argwohn beobachtet.
Für die „Frau Doktor“ schwingt ein Zweifel an der Kompetenz in diesen Worten mit, weil eine junge Ärztin zu wenig Erfahrung mit bringt.
Dann antworte ich freundlich: „Danke, das ist nett, aber die 40 habe ich geknackt.“
Auch an diesem Tag bin ich wieder die junge Frau Doktor, als ich der etwa 25-köpfigen Gruppe vorgestellt werden. Doch hier scheint es gut anzukommen, dass mal ein jüngerer Kopf dabei ist.
„Hier machen die Ärzte immer beim Sport mit!“, grinst mich die Gruppenleiterin an und ich schaue an mir herab: Arbeitshose, Kasak und Turnschuhe sind zwar nicht das beste Sportoutfit, aber besser als enge Jeans und Bluse. Meine Faulheit am Morgen bezüglich der Klamottenwahl macht sich also bezahlt.
Tomätchen vor dem Training
Bevor es losgeht, kommen noch einige nette Menschen auf mich zu. Ein älterer Herr kennt mich aus meiner ehemaligen Praxis, in der ich meine Weiterbildung gemacht habe. Wir unterhalten uns, während ein anderer Mann herumläuft und in einer Tupperdose kleine, selbst gezüchtete Cocktailtomaten anbietet. Ich greife gerne zu, sie schmecken köstlich und ich hatte einen langen Arbeitstag. Mein Abendessen bestand aus einer Packung Salamiwürstchen, weil ich nach der Praxis und vor der Herzsportgruppe keine Zeit hatte, nach Hause zu fahren oder irgendwo „was Richtiges“ zu essen.
Dann geht es los. Wir stellen uns an beiden Seiten der Turnhalle auf und das Aufwärmprogramm startet:
„Wir laufen zur gegenüberliegenden Seite und nehmen die Arme nach vorne mit, jeder in seinem Tempo!“, erschallt es von der Sportlerin. 25 Rentner setzen sich in Bewegung, kommen aufeinander zu, suchen sich ihre Lücken zwischen den Entgegenkommenden, lachen mir freundlich zu und ich drossle mein Tempo ein wenig.
So geht es etwa 15 Minuten lang mit verschiedenen Übungen, dann folgt eine Trinkpause. Ich bräuchte jetzt noch keine, aber ein netter Herr bietet mir eine Wasserflasche an, die für die gesamte Mannschaft reichlich vorhanden sind, und ich greife dankend zu. Wie freundlich hier alle sind! Was für eine angenehme Abwechslung zu dem in letzter Zeit häufig unfreundlichen Patiententon.
Reifenmemory - ich bin verwirrt
Es geht weiter. Wir sollen uns Reifen nehmen und irgendwo auf dem Boden verteilen. Die Leiterin neben mir erklärt: „Wir laufen querbeet durch die Halle und wenn ich Stopp sage, dann suchen wir uns einen Reifen und machen eine Übung Nummer 1, die ich dann zeige. Dann laufen wir weiter, suchen uns wieder einen Reifen und machen Übung 2, dann Übung 3. Ok? Anschließend sage ich nur noch die Nummern und jeder geht zu seinem Reifen 1, 2 oder 3 und macht die entsprechende Übung. Ok?“
Fragenden Gesichter.
„Und los!“, sagt sie und das Chaos nimmt seinen Lauf.
Ich lande zuerst in einem roten Reifen. Bis alle Teilnehmer und die die zwei Teilnehmerinnen einen Reifen gefunden haben, dauert es einen Moment, dann machen wir eine Übung.
Weiter gehts. Manche joggen, was mich angesichts des Alters und der teilweise schweren Krankheiten der Menschen beeindruckt, manche traben, manche gehen. Einer macht Pause und trinkt einen Schluck Wasser.
Ich lande in einem gelben Reifen und mache Übung 2.
Dann folgt Übung 3 in Reifen 3.
„Jetzt geht jeder wieder in seinen Reifen 1.“
Ich trabe also zu meinem roten Reifen. Ein Reifen bleibt frei, zwei Menschen laufen ziellos hin und her. An anderer Stelle wilde Diskussion, wer in welchen Reifen gehört.
„Frau Doktor, Sie stehen falsch!“ Ein Herr zeigt auf mich und verweist mich auf den Platz neben der Vorturnerin. Ich schüttle den Kopf. "Ich hatte als erstes den roten Reifen!"
Der Herr hinter mir verteidigt mich: „Ne ne, die Frau Doktor stand da!“ So geht es noch eine Weile weiter, es folgen spielerisch tadelnde Blicke und erhobene Zeigefinger, weil ich falsch stehe.
Verwirrung setzt bei mir ein. Stehe ich falsch? Eigentlich nicht, aber dann geht es schon weiter und wir machen Übung 2 in Reifen 2. Mein beinahe jugendliches Selbstvertrauen ist erschüttert. Hoffentlich stehe ich diesmal richtig. Die Übung ist fürs Gehirn wirklich gut und die Zeit vergeht wie im Flug.
Wilder Slalom durch die Halle
Wir machen noch ein bisschen Slamlomlauf.
„Wir legen 5 Reifen hintereinander in 5 Reihen mit dem gleichen Abstand!“, fordert die Gruppenleiterin, und motiviert umhertrabende Rentner ordnen Reifen in wilder Formation an: Eine Reihe enthält sieben Reifen, eine drei, am Ende fehlt eine Reihe und diejenigen, die korrigierend eingreifen, um eine neue Reihe zu formen, sehen sich torpediert, weil andere ebenfalls nachjustieren wollen. Die Korrektur der Korrektur funktioniert schließlich und wir stellen uns in fünf Reihen auf, laufen im Slalom und hopsen durch die Kreise.
Tatsächlich ist das Ganze auch für mich passionierte Freizeitsportlerin nicht unanstrengend und die gute Stimmung sowie die sportliche Motivation beeindrucken mich. „Sie haben aber einen guten Laufstil!“, sage ich dem Mann, der gerade wieder angetrabt kommt. Er strahlt: „Ja, die Beine sind noch gut!“
Das Training ist beendet, wir trinken unser Wasser aus und plaudern noch ein wenig. „Toll, dass Sie mitgemacht haben!“, spricht mich ein kleiner, sehr alter Herr an.
„Sie sind alle so engagiert, es hat wirklich Spaß gemacht!“, antworte ich und er freut sich.
Dankbarkeit, auch ohne Endorphinrausch
Es hat wirklich Spaß gemacht und ich verlasse die Halle regelrecht beflügelt. Das war zwar kein Endorphinrausch wie nach einem anstrengenden Lauf, aber selten habe ich so viel Herzlichkeit, so viel Engagement und Freundlichkeit bei gleichzeitig vollkommen fehlendem Konkurrenzdenken erlebt. Wer gut sporteln konnte, wurde gelobt und bewundert. Wer langsam war, wurde zur Pause motiviert. Es wurde gelacht, Tomaten gegessen und Wasser verteilt.
Und ich bin mit einem großen Gefühl von Dankbarkeit nach Hause gegangen, weil ich so herzlich empfangen wurde, und mit einer großen Portion Bewunderung für die alten Herren und Damen, die teilweise seit Jahren an der Sportgruppe teilnehmen und sich nicht unterkriegen lassen.
Hut ab und Danke!
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Bild: Pixabay, Jim Cramer