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Neue Wege wagen - der Neustart kommt

Sieben Wochen ist es jetzt her, dass ich meinem Job als Landärztin den Rücken kehrte. Sieben Wochen, in denen ich rastlos war und mitten in einer Selbstfindungsphase. Midlifecrisis? Man könnte es so nennen, Frauen werden ja sowieso gerne in als hormonell geflutet angesehen, wenn sich in ihrem Leben etwas ändert. Aktuell waren es aber (noch) nicht die Hormone, sondern einfach das Leben und die Arbeitsbedingungen. 

 

Beruflich fühlte ich mich manchmal, als sei ich mit 43 Jahren bereits kurz vor der Rente. Erschöpft und müde. Mein Job hat mich erschöpft, dabei machte ich ihn eigentlich erst seit 15 Jahren. 

 

Ein Café in Berlin oder eine Surf-Schule in Portugal?

 

Jeder kennt die Geschichten von Menschen, die in der Mitte des Lebens plötzlich alles über den Haufen werfen und komplett neu anfangen: Eine Surf-Schule in Portugal eröffnen oder ein Café in Berlin, LKW-Fahrer(in) auf der Route66 werden oder im Tinyhouse mit Gemüsegarten dem normalen Leben den Rücken kehren.

 

Und ich wette, dass es fast allen Menschen irgendwann mal so geht, dass man alles hinschmeißen und neu anfangen möchte. Weil der Chef nervt, die Kolleginnen und Kollegen doof sind oder einem einfach alles über den Kopf wächst und man sich sein Leben anders vorstellt hat. Das war bei mir nie der Grund. Ich hatte in beiden Praxen, in denen ich arbeitete, stets tolle Chefs, hinreißende MFA’s, liebe Patientinnen und Patienten und ich mochte meine Arbeit sehr. Nur kann ich sie nicht weitermachen, weil ich an einen Punkt gekommen bin, an dem ich mich entscheiden muss, wie mein Leben in den nächsten Jahrzehnten aussehen soll. Denn bis zur Rente habe ich noch 24 Jahre zu arbeiten. 

 

Das heißt, dass eigentlich noch ein Großteil meiner berufliche Karriere vor mir liegt und ich noch lange arbeiten muss - oder darf. So kann man es doch nennen, oder? Ich will arbeiten. Ich will auch noch etwas Sinnstiftendes tun und nicht ab morgen in einem Beruf arbeiten, der mich maximal erschöpft und mir als Niedergelassene womöglich auch alle meine finanziellen Ressourcen nimmt.

 

Ich war wirklich gerne Hausärztin und ich will nicht nur nach dem Gefühl gehen: „Vielleicht wird es Zeit für etwas Neues.“ Nein. Das ist es nur zu einem kleinen Teil. Ich strebe zwar immer wieder nach Neuem, so ist mein Naturell (leider), aber das kann auch im Kleinen stattfinden. 

Über Monate habe ich zum Beispiel auf einen Halbmarathon trainiert, aber bin bisher über die 15 km nicht hinausgekommen. Das ist aber nicht so schlimm, denn hier sehe ich es so: Der Weg ist das Ziel. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn jedes Stück Weg ist ein kleiner Erfolg mehr. 

 

Aber beruflich war immer wieder dieses Gefühl da: „Das war es noch nicht.“ Der Gedanke, diesen Beruf eben diese 24 Jahre bis zu meiner Rente zu machen, bereitet mir Unbehagen. Ich habe zwar keine Panikattacken, wenn ich daran denke, aber einen dicken Kloß im Magen und Unwohlsein. 24 Jahre Stress? 24 Jahre die Arbeit als einzigen Mittelpunkt im Leben? 24 Jahre meine Lebenszeit nur um die Sprechstunde, das nächste IT-Update, die nächste Abrechnung basteln?

Nein. Das ist es nicht. 

 

Ich arbeite gerne und habe schon immer gerne etwas Sinnvolles getan. Sei es, mit 16 Jahren das eigene Geld an der Wurst- und Käsetheke zu verdienen, oder zeitweise meine Erfüllung als Servicekraft in einer Studentenkneipe zu suchen, oder auch als Pflegekraft im Krankenhaus festzustellen, dass ich helfen will, aber nicht bis zur Selbstaufgabe. 

 

Neulich schrieb mir ein verbitterter Kommentator, er muss vom Namen her ein älterer Kollege sein, unter einen von mir recht flapsig und leicht vulgär angehauchten Text: „Sie werden nie ein Praktiker werden!“ Erst war ich ziemlich erbost und wollte genauso bitter antworten. Doch dann dämmerte es mir: Vielleicht ist er auch verbittert, weil er seine Kreativität nicht an Worten auslassen kann. Oder weil für seinen Frust kein Ventil hat. Vielleicht ist er auch verbittert, weil eine mehr oder weniger junge, dahergelaufene Ärztin mit ihren Texten Aufmerksamkeit bekommt, dabei ist doch nur und ausschließlich die praktische Tätigkeit Ruhm und Ehre wert. 

Vielleicht hatte er aber auch irgendwie recht und ich werde nie eine bodenständige, praktisch grenzenlos erfahrene Hausärztin, die den Betrieb mit links schmeißt, inklusive BWL, IT, Personalführung und das bisschen Medizin nebenbei, haha. Vielleicht ist er ein Arzt, den ich im Leben bewundern könnte, schriebe er nicht so einen Käse im Internet. 

 

Stehenbleiben, sondieren, losgehen

 

Wenn ich nun reflektiere, wo ich gerade stehe, dann muss ich sagen: gut da. Aktuell habe ich die Chancen, mich umzuorientieren und den Weg für die nächsten 24 Jahre zu ebnen. Die Chance hat nicht jeder. Aber manchmal muss man eben stehenbleiben, die Lage sondieren, Ausschau halten und sich auch mal mit der Machete den Weg freikämpfen, bis der Weg vor einem sichtbar wird. 

 

Meinen ersten Schritt - stehenbleiben - habe ich bewältigt. Das war nicht leicht, denn mitten im Rennen eine Vollbremsung zu machen, erzeugt Reibung. Reibung an meinen eigenen Gewohnheiten und Einstellungen, Reibung an der Vorstellung anderer Menschen, wer ich sein soll. Reibung bei der Gesellschaft, die vorgibt, wie ein Mensch zu funktionieren hat. Oder besser: dass er zu funktionieren hat. 

 

Der nächste Schritt - die Lage sondieren - war auch nicht so leicht. Es ist nicht damit getan, Stellenangebote zu sichten, sich arbeitslos zu melden, ein paar Gespräche zu führen und schon weiß man, wie es weitergeht. Die Bewerbungen dauern alle eine Zeit. Nicht das Schreiben, sondern das Warten auf Antworten, die Gespräche, das Ausloten der Möglichkeiten. Wieviel Zeit kann ich pro Tag arbeiten, ohne dass meine Kinder drunter leiden. Schaffe ich Dienste? Möchte ich Personalführung übernehmen? Bin ich eine Führungspersönlichkeit oder möchte ich geführt werden?

 

An dieser Weggabelung stand ich über Wochen. Beinahe täglich sondierte ich die Lage, habe Stellenangebote gewälzt, Bewerbungen geschrieben von Gießen bis Frankfurt und habe viele Gespräche geführt. Sie liefen alle gut, mehrere Jobs hätte ich haben können - um in der gleichen Tretmühle zu landen, wie bisher. Nur in rosa. Oder gelb. Letztlich war der Wechsel bisher noch nicht gravierend genug für mich. Es sollte anders sei. Nicht rosa oder gelb, sondern anders.

 

Das war für mich auch schon eine Erkenntnis. Dieser Job, den ich 24 Jahre machen kann und möchte, der mich erfüllt, aber auch Möglichkeiten lässt, mein Leben zu leben. Natürlich ist Arbeiten anstrengend und das gehört zur Natur der Sache: Geld wird einem nunmal nicht geschenkt. Das würde ich auch nicht wollen, denn die Erfüllung kommt ja auch mit der Anstrengung, die man bewältigen muss. Ein Halbmarathon ist kein Erfolg, wenn einem die Ziellinie entgegen getragen wird.

 

Noch eine Erkenntnis ist, dass ich zwar für mein Leben gerne schreibe, aber nicht das Zeug zur hauptberuflichen Freiberuflichkeit oder Selbstständigkeit habe. Trotz jahrelanger Schreiberei fehlt mir die Erfahrung (und bisher auch die Zeit), meine Aufträge selbst einzuholen, das entsprechende Gehalt zu verhandeln und dabei soviel zu verdienen, dass ich meine Renten- und meine Krankenversicherung selbst bezahlen kann, und ich darüberhinaus nach Steuern auch noch genug Geld übrig habe. Man weiß ja nie, ob man es bis zur Rente schafft, aber ich hoffe es natürlich. 

 

Ich mag nun mal Struktur. Und Sicherheit. Die habe ich in der Freiberuflichkeit kaum.

Damit komme ich also zu dem Schluss, dass ich das Schreiben nicht in der hauptberuflichen Freiberuflichkeit ausleben kann.

 

Das war also die Sondierung. Meinen Weg sah ich vor mir, aber noch war er etwas überwuchert. Also stand der nächste Schritt an: Den Weg frei räumen, ihn gehen.

„Ein Weg entsteht erst, wenn man ihn geht“, besagt ein Sprichwort. Und das stimmt. Manchmal muss man Gestrüpp niedertrampeln, sich durch’s Unterholz kämpfen und zur Not mit der Machete Platz machen. Hach, bin ich poetisch und metaphorisch  heute. 

 

Überträgt man das "Freiräumen und den Weg gehen“ auf das Berufsleben, dann bedeutet das meiner Ansicht nach, dass man den ersten Schritt macht und sich schließlich festlegt, was man (nach der Sondierung) will. Man macht konkrete Verhandlungen, unterschreibt einen Vertrag und denkt schließlich voller Verwunderung und Freude: „So mache ich es!“

 

Und zwar mache ich es folgendermaßen: Ich werde Medizinredakteurin. Der Vertrag mit einem Verlag ist unterzeichnet, der Papierkram geregelt und ich freue mich wie ein Schnitzel. 

 

Jetzt beginne ich mit Workshops zum Journalistischem Schreiben, denn obwohl ich schon ein wenig schreiben kann, muss ich das Handwerkszeug von der Pike auf lernen. Ich werde mich vorbereitend belesen und darf im Januar meinen neuen beruflichen Weg starten. 

 

Ich bin glücklich darüber. 

 

Meine Patientinnen und Patienten werde ich dennoch vermissen. Es waren lehrreiche und schöne Jahre und ich bin allen meinen Chefs und Chefinnen, meinen MFA’s, meinen Patientinnen und Patienten dankbar.

 

Der Blog Schwesterfraudoktor bleibt, wenn ich vielleicht auch weniger oder anders schreiben werde. Aber mit Schwesterfraudoktor hat alles angefangen, das bin ich. 

 

Nun kommt Schwesterfraudoktor 2.0.

 

 

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Bild: Gerd Altmann, Pixabay